Den Veränderungen getrotzt
08.09.2023 Oberlunkhofen, KelleramtVom Schicksal unbeirrt
Nach einer schicksalhaften Operation kämpft sich der Oberlunkhofer Lars Porrenga an die Spitze
Wegen eines lebensbedrohlichen Tumors ist Lars Porrenga heute querschnittgelähmt. «Es war kein Schicksalsschlag, ...
Vom Schicksal unbeirrt
Nach einer schicksalhaften Operation kämpft sich der Oberlunkhofer Lars Porrenga an die Spitze
Wegen eines lebensbedrohlichen Tumors ist Lars Porrenga heute querschnittgelähmt. «Es war kein Schicksalsschlag, sondern ein Neuanfang.»
Celeste Blanc
Von einem auf den anderen Tag ist alles anders. Dann, wenn man um sein Leben bangt, wenn die Diagnose eines lebensgefährlichen Tumors mitgeteilt wird. Oder wenn man mit neuen Lebensumständen zurechtkommen muss, wenn man nach einer Operation plötzlich querschnittgelähmt ist.
Genau das ist dem jungen Oberlunkhofer Lars Porrenga passiert. Doch anstatt in ein Loch zu fallen, weckte die neue Situation beim 27-Jährigen einen ungeahnten Willen. Und führte vor Augen, was wirklich wichtig ist: Möglichst wenig Dinge tun, die einen nicht bereichern. Sich nicht aufregen ob anderer Leuten.
Lernen, Hilfe anzunehmen
Aber auch Lernen gehörte dazu. Vor allem, Hilfe von anderen anzunehmen und zu akzeptieren, dass das keine Schwäche ist. «Das fiel mir am Anfang sehr schwer», gesteht der junge Mann ein. «Dabei war sie unumgänglich, um wieder an den Punkt zu kommen, wo ich selber über mein Leben bestimme und meine Ziele gestalte.» Gelungen ist es Porrenga definitiv. Seit seinem Unfall hat er mittlerweile zum Leistungssport gefunden, holte an der Para-Multisport-EM in Rotterdam Bronze. Und erlernt nun endlich den Job, den er eigentlich schon immer machen wollte.
Mit 24 Jahren musste sich Lars Porrenga aufgrund einer Querschnittlähmung neu orientieren
Wegen einer missglückten Tumoroperation sitzt Lars Porrenga seit drei Jahren im Rollstuhl. Wie man mit solch neuen Lebensumständen umgeht, wie es seine Sicht auf das Leben verändert hat und wie er drei Jahre später an der Para-Multisport-EM für die Schweizer Nati Bronze holt, erzählt er im Gespräch.
Celeste Blanc
«Man kann nur lernen, mit der Situation klarzukommen. Alles andere macht dich kaputt.» Stark und überlegt spricht Lars Porrenga, wenn er an jenen Tag zurückdenkt, an dem sich sein Leben und sein Körper für immer verändert haben. An den Tag, als die operative Entfernung eines Tumors im Beckenbereich zwar erfolgreich war, aber durch eine inkomplette Querschnittlähmung eine körperliche Beeinträchtigung hinterliess. Und der doch auch Neuanfänge und Abenteuer für den jungen Mann bereithielt.
Porrenga spricht über zweite Chancen, über berufliche Neuorientierungen und unbekannte sportliche Erfahrungen. «Auch wenn es sicher nicht einfach war – der Weg ist noch lange nicht zu Ende», meint der heute 27-Jährige. Und gegen etwas wehrt er sich entschieden: Nämlich, die Operation als negativen Schicksalsschlag zu werten. «Der Tumor hätte meinen Tod bedeuten können. Wäre ich jetzt nicht im Rollstuhl, würde ich gar nicht hier sitzen.»
Starkes Umfeld stützte ihn
2020 war es gewesen, als beim damals 24-jährigen Oberlunkhofer ein Sarkom, also ein bösartiger Tumor, im Becken entdeckt wurde und sofort entfernt werden musste. Dem Risiko, dass die Fusshebefunktion verloren gehen könnte, war sich Porrenga bewusst. Von einer Paraplegie, also einer Querschnittlähmung, war jedoch nicht die Rede gewesen. «Als ich aus der Operation erwachte, spürte ich, dass etwas anders war», erzählt er. Was genau, sollte sich erst in den darauffolgenden Wochen zeigen. Porrenga litt fortan an einer Lähmung des rechten Beins, das von der Hüfte abwärts immobil ist.
Wehmut schwingt dennoch mit
Heute wie damals wertet der junge Mann die Nachricht nicht als Hiobsbotschaft. «Vielleicht hört es sich von aussen gleichgültig an, aber ein Schock war es nicht gewesen.» Er kam mit der Situation von Beginn an klar. «Natürlich war es schlimm. Aber ich litt nie an psychischen Problemen. Das ist nicht selbstverständlich.» Das könne bei solchen Ereignissen durchaus vorkommen, so Porrenga. Dank dem starken Umfeld, das ihn die ganze Zeit getragen habe, konnte er sich mit den neuen Lebensumständen arrangieren. «Das war ein Riesenglück.»
Dennoch – trotz der Akzeptanz schwingt manchmal auch Wehmut über den Verlust gewisser Dinge mit. Von klein auf war Porrenga leidenschaftlicher Sportler gewesen, der es liebte, in Bewegung zu sein. Er spielte Unihockey in Meilen, ging gerne regelmässig wandern und war seit seinem 16. Lebensjahr Skilehrer in Obersaxen. «Das Skifahren ist meine grosse Leidenschaft», so Porrenga. «Dieser Verlust schmerzt – auch heute noch.» Zwar können alte Leidenschaften nicht immer ersetzt, dafür neue für sich entdeckt werden. Während seiner Rehabilitation im Schweizerischen Paraplegiker-Zentrum in Nottwil kam Porrenga zum Badminton. «Ich habe so viel Neues ausprobiert, so viele Sportarten getestet. Und irgendwie hatte ich für Badminton ein unentdecktes Talent», lacht er.
Dieses Talent sollte es sein, das ihm seine erste EM-Bronzemedaille an den Multisport-Europameisterschaften im Para-Sport einbrachte. «Und das, obwohl ich erst seit eineinhalb Jahren mit der Nati regelmässig trainiere», meint der Leistungssportler lachend.
Wegen EM erste Woche der neuen Lehre verpasst
Seit dem Sommer 2021, ein Jahr nach seiner Operation, spielt der Freiämter im Rollstuhlclub Aarau. Schnell wurde Porrengas Talent augenfällig und er wurde nach knapp einem halben Jahr in ein Nati-Training aufgeboten. Seither trainiert er im Nachwuchskader, nahm im Februar diesen Jahres zum ersten Mal an einem internationalen Turnier teil. Völlig ohne Druck, wie Porrenga erzählt. «Seit dem Vorfall setze ich mich bei nichts mehr unter Druck. Ich lasse die Dinge, so wie sie sind, auf mich zukommen.»
Im Mai und Juni folgte das zweite grosse Turnier in Bahrain, wo er gegen Spieler der Weltspitze antrat. Der grosse Coup gelang dann in Rotterdam Anfang August, wo er im Mixed den Podestplatz an der Multisport-Europameisterschaft holte. «Es war ein irre Gefühl, völlig unerwartet und einfach nur unbeschreiblich.»
Auf diesem Erfolg lasse sich aufbauen – auch künftig möchte Porrenga an grossen Turnieren um die vorderen Ränge spielen. Der Turnierkalender sei aber erst im nächsten Jahr wieder voll. «Nachdem ich wegen der EM die erste Woche meiner neuen Lehre verpasst habe, passt es für dieses Jahr», zwinkert der Oberlunkhofer.
Der Job, den er immer wollte
Lars Porrenga ist ein Kämpfer. Unbeirrt nimmt er die Hürden, die ihn seit drei Jahren im Alltag begegnen. Denn Einschränkungen können umgangen werden. «Auch heute noch ist ganz vieles möglich. Es kommt nur darauf an, ob man will oder nicht», erzählt er.
Auch beruflich musste der gelernte Heilpraktiker einen ganz neuen Weg einschlagen. Und zwar einen, bei welchem er einen alten Traum verfolgte, den ihn schon seit seiner Schulzeit begleitet. «Schon damals reizten mich das Nähen und der Handwerksunterricht», verrät er. Mangels Perspektiven hatte er sich vor 10 Jahren dagegen entschieden – bis zu diesem August: Vor einem Monat hat er die Lehre als Bekleidungsgestalter im Atelier des Berufsbildungszentrums (BBZ) in Wohlen angetreten. «Schon verrückt, wie das Leben manchmal spielt. Auch hier brauchte es den zweiten Anlauf, damit ich da ankomme, wo ich eigentich hinwollte.» Und auch hier hat Porrenga schon konkrete Pläne: Künftig möchte er Bekleidungen für Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen herstellen. «Oft sitzen konventionelle Kleider sehr schlecht. Ich möchte die Betroffenen und ihre Bedürfnisse abholen.»