Das Kellertheater vor der Premiere
10.02.2023 BremgartenIn gut einer Woche startet die diesjährige Eigeninszenierung des Bremgarter Kellertheaters. Regisseur Simon Ledermann inszeniert dabei die Farce «Bezahlt wird nicht!» von Dario Fo. Das Stück in zwei Akten spielt im Mailand der 1970er-Jahre, ist aber aufgrund der momentanen ...
In gut einer Woche startet die diesjährige Eigeninszenierung des Bremgarter Kellertheaters. Regisseur Simon Ledermann inszeniert dabei die Farce «Bezahlt wird nicht!» von Dario Fo. Das Stück in zwei Akten spielt im Mailand der 1970er-Jahre, ist aber aufgrund der momentanen Weltlage heuer so aktuell wie nie zuvor. Ledermann freut sich, nach einer schöpferischen Pause die Bremgarter wieder zum Lachen und Nachdenken bringen zu dürfen. --huy
Klamauk mit Tiefsinn
Eigeninszenierung des Kellertheaters vom 18. Februar bis 1. April
In seiner 57. Spielzeit widmet sich das Kellertheater der Farce «Bezahlt wird nicht!» von Dario Fo. Die Verantwortlichen freuen sich, Bremgarten einen bald 50-jährigen Klassiker präsentieren zu dürfen, der heute aktueller zu sein scheint denn je.
Marco Huwyler
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Dieses Bonmot aus dem Fussball könnte man getrost auch auf das Wirken des Kellertheaters anwenden. Im Frühjahr, wenn sich der Vorhang nach der letzten Vorstellung der Eigeninszenierung zum letzten Mal schliesst, beginnt man sich jeweils schon wieder Gedanken zur neuen Saison zu machen. Diesmal in der Person von Simon Ledermann, der nach drei Jahren Theaterpause heuer zum fünften Mal Regie bei der Eigeninszenierung führt. Als der 53-Jährige vor Jahresfrist in der Schublade kramte, wo er die Stücke aufbewahrt, die er sich für irgendwann später aufgehoben hatte, da stiess er unter anderem auch auf «Bezahlt wird nicht!» von Dario Fo.
Probleme wie einst in den 70ern
«Ich habe das Stück schon seit Jahren im Hinterkopf», sagt er. «Und angesichts der Geschehnisse im Frühjahr 2022 kam ich schnell zum Schluss – jetzt könnte der ideale Zeitpunkt dafür sein.»
In der Ukraine war gerade der Krieg ausgebrochen. Und neben der Bestürzung über die russischen Gräueltaten begann sich Europa in deren Zuge zunehmend über Inflation und Knappheit zu sorgen. Probleme, unter denen vor allem die Unter- und Mittelschicht zu leiden hat. Genauso, wie vor rund 50 Jahren, als sich Italien im Klassenkampf befand. Die Thematik des «Raubtierkapitalismus», dank dem einige wenige gar von Krisen profitieren (etwa in Form von Milliardengewinnen der Öl- und Gaskonzerne aufgrund der hohen Preise), während der kleine Mann (und natürlich auch die kleine Frau) leidet, ist heute aktueller denn je.
«Ich habe mir während des Auswahlprozesses sogar Sorgen gemacht, dass die Lage in den Monaten bis zur Aufführung doch bitte nicht so dramatisch werden möge, dass es bei der Premiere quasi makaber wäre, dieses Stück aufzuführen», lacht Ledermann. «Zum Glück kam es dann doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet mit der Energieknappheit. Wir müssen jedenfalls nicht im Dunkeln auftreten», witzelt er.
So kann Bremgarten die Inszenierung von «Bezahlt wird nicht!» in jenem Scheinwerferlicht geniessen, die es nicht nur aufgrund der aktuellen Thematik verdient. Das Stück spielt im Mailand der 70er-Jahre, f licht aber auch die komplexen wirtschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit mit ein, wo die Zuordnung in Klassen nicht mehr so einfach ist. Dario Fo selbst hat in hohem Alter sein Stück unter dem Eindruck der Finanzkrise 2008 nochmals überarbeitet.
Dramatisches urkomisch verpackt
Es zeigt die prekären Lebensumstände der einfachen Mailänder Bürger. Das Geld reicht kaum noch für die Miete. Strom und Gas kosten immer mehr und auch im Supermarkt steigen die Preise ständig (alles wie gesagt Dinge, die uns heute leider bestens bekannt vorkommen dürften). In ihrer Not beschliessen die Bewohner eines Viertels eines Tages, für ihre Waren im Laden nichts mehr zu bezahlen. «Bezahlt wird nicht!», schreien sie und füllen sich hektisch die Einkaufstaschen, was später dazu führt, dass die Polizei beginnt, im Quartier Razzien durchzuführen, um die fehlbaren Bürger zu ermitteln.
Das Besondere am Stück ist, dass diese bedrückenden und spannungsgeladenen Szenen nicht etwa als Drama daherkommen, sondern von Fo in eine irrwitzige Komödie verpackt wurden. Eine Komödie zudem, die uns den Spiegel vorhält. Die das Paradoxon beschreibt, dass wir doch selbst in der vermeintlichen Existenznot im eigentlich lächerlichen Überfluss leben, den Hals auch in Krisenzeiten nicht vollkriegen und damit selbst letztlich alle unseren Teil zu den Ausuferungen des Kapitalismus beitragen.
So hat eine der Protagonistinnen etwa in ihrer Gier im Laden nicht nur Esswaren, sondern auch grosse Mengen Vogel- und Hundefutter eingesackt – obwohl sie keine Haustiere besitzt. «Dieses irrationale Hamstern angesichts der Krise erlebten wir in der Realität kürzlich auch – als sich alle plötzlich auf Toilettenpapier stürzten», findet Ledermann.
Nobelpreisträger Fo erzählt in «Bezahlt wird nicht!» die Geschichte von Antonia, Giovanni, Margherita und Luigi in ihrem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei und den Behörden. «Er tut dies mit unglaublichem Witz, sprühender Freude an absurder Situationskomik – und trotzdem mit viel Tiefgang und Gesellschaftskritik», sagt Ledermann. Die Figuren tischen einander Geschichten, Ausreden und polemische Tiraden auf, bis sich die Bretter biegen. «Die Dialoge sind ein grosses Vergnügen», schwärmt der Kellertheater-Regisseur. «Wenn man sie liest, dann denkt man immer wieder ‹Ja bitte, das geht jetzt also zu weit› – nur, um am Ende verblüfft festzustellen: ‹Moll, das geht auf›, die Rädchen greifen perfekt ineinander. Das Stück ist schlicht ein Meisterwerk.»
Das Problem mit dem Rotstift
Diese harmonische Akribie des Drehbuches brachte für Ledermann aber auch seine Schwierigkeiten mit sich. Es galt nämlich, das Stück von drei auf zwei Stunden zu kürzen. «Wir wollen die Menschen in Bremgarten ja nicht mit dieser Länge erschlagen», sagt er. Für den erfahrenen Regisseur sind solche Kürzungen im Vorfeld von Inszenierungen wahrlich kein Novum. Doch noch selten hatte er damit so viele Schwierigkeiten wie dieses Mal. «Normalerweise gehe ich ziemlich grosszügig mit dem Rotstift dahinter und kürze ganze Abschnitte. Doch bei ‹Bezahlt wird nicht!› ging das einfach nicht. Alles ist irgendwie wichtig für die Handlung.»
So mussten die Zeitersparnisse, vorsichtig wie mit dem Skalpell erarbeitet werden. Satz für Satz und Wort für Wort wurden von Ledermann auf ihre Notwendigkeit durchleuchtet. Und weil man die Bedeutungsschwere von Theatertextfragmenten während dem Proben viel besser erkennt als während dem Lesen im stillen Kämmerlein, wurden diese Kürzungen erst während des Übungsprozesses vorgenommen. «Die Schauspieler mussten deshalb ursprünglich viel zu viel Text lernen. Dafür möchte ich mich entschuldigen», lacht Ledermann.
Der Luxus mit der alten Post
Herausgekommen ist eine Bremgarter Inszenierung, mit der alle Beteiligten hochzufrieden sind. Der Text wurde ins Schweizerdeutsche übersetzt und wird dem Charakter des Kellertheaters entsprechend mit dem Chor auch musikalisch umrahmt. Über 150 Stunden seit dem September hat man «Bezahlt wird nicht!» bisher geprobt. Erstmals konnte das Kellertheater dabei auf die Räumlichkeiten der alten Post zurückgreifen, wo man das Bühnenbild 1:1 nach den Verhältnissen im Schellenhaus nachgebildet hat. «Das war superkomfortabel. Mit dieser Lösung haben wir traumhafte Verhältnisse in Bremgarten, was das Proben und das Lagern von Requisiten anbelangt», lächelt Ledermann. «Im Vergleich zu anderen Jahren war das wirklich grosser Luxus.»
Die Voraussetzungen, dass die 57. Spielzeit eine Eigeninszenierung beinhalten wird, die als besonders gelungen in Erinnerung bleibt, scheinen also ideal zu sein. Die jeweils gut hundert Gäste an den 15 Abenden zwischen Mitte Februar und Anfang April dürften bestens unterhalten werden. Mit Humor, der die Lachmuskeln strapaziert – und doch auch zum Nachdenken und Ref lektieren anregt.