«Danke an all die treuen Seelen»
19.12.2023 BremgartenEnde eines Traditionslädeli
Der «Städtli-Shop» schliesst
Dorit Hartmann muss ihren Städtli-Shop im Frühjahr schliessen. Das Kleiderlädeli rentiert nicht mehr.
Der Städtli-Shop ist kaum aus ...
Ende eines Traditionslädeli
Der «Städtli-Shop» schliesst
Dorit Hartmann muss ihren Städtli-Shop im Frühjahr schliessen. Das Kleiderlädeli rentiert nicht mehr.
Der Städtli-Shop ist kaum aus Bremgarten wegzudenken. Seinen Ursprung hat der Kleiderladen, der sich auf Unterwäsche spezialisiert hat, vor über 100 Jahren. Zuletzt wurde er mit viel Idealismus und Hingabe von Dorit Hartmann betrieben. Sie musste nun einsehen, dass das Geschäft aus wirtschaftlichen Gründen keine Zukunft mehr hat. Nach dem Ostermarkt ist deshalb Schluss. Für die 62-jährige Inhaberin ein trauriger Moment, den sie gerne noch länger hinausgezögert hätte. --huy
Der Städtli-Shop schliesst im Frühjahr seine Türen
verliert ein Traditionsgeschäft im Herzen der Altstadt. Dorit Hartmann muss ihren Laden aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben. Ein Schritt, der ihr nicht leichtfällt und viel Wehmut auslöst. Nicht nur bei ihr, sondern bei vielen Ur-Bremgartern.
Marco Huwyler
Dorit Hartmann ist eine ehrliche Haut. Aus ihren Gefühlen macht sie keine Mördergrube. «Vor dem Entscheid habe ich drei Nächte lang geweint. Danach fiel mir eine grosse Last von den Schultern.» Der Schritt, den Laden zu schliessen, der ihr so am Herzen lag, ist ein überaus schmerzhafter. «Aber es ist richtig so. So weiterzumachen, ergab schlicht keinen Sinn mehr.»
Der Altstadt-Laden hatte sich zuletzt nicht mehr gerechnet. «Wir leben momentan von der Hand in den Mund», sagt Hartmann. Die Pandemie hat die Betriebsreserven aufgefressen. Neue bilden konnte der Städtli-Shop danach nicht mehr. «Wenn ich mir vor jeder Bestellung Sorgen machen muss, wie ich das überhaupt bezahlen kann, dann kann das nicht ewig gut gehen.» Hartmann hat mit sich gerungen und gezögert. Alles probiert und gehofft, dass sich die Lage bessert. Denn nur allzu gerne hätte die 62-Jährige noch mindestens bis zur Pension weitergemacht. Und sich allenfalls um eine Anschlusslösung bemüht. Doch die Umstände gaben dies nicht mehr her. Deshalb ist bald frühzeitig und definitiv Schluss. «Wir machen wohl noch bis nach dem Ostermarkt. Je nach Geschäftsgang ein paar Tage mehr oder weniger», sagt Hartmann.
Über 100 Jahre Tradition
Die Schliessung des Ladens an der Marktgasse 17 ist auch für Bremgarten ein trauriger Moment. Denn mit dem Städtli-Shop geht auch ein Stück Städtli-Geschichte. Die Ursprünge des Ladens reichen über 100 Jahre zurück. 1912 gründeten Heinrich und Pauline Baier-Gehrig ein «Kolonialwaren-Geschäft» und zogen damit 1928 in die Räumlichkeiten, in denen der Städtli-Shop bis heute untergebracht ist. Der Laden, der ursprünglich auch Lebensmittel verkaufte, spezialisierte sich in den 70er-Jahren auf Kleider – insbesondere auf Unterwäsche. 1974 übernahm mit Heidi Gritsch die Enkelin der Ladensgründer und baute das Geschäft weiter aus, bis sie es 1992 nach ihrer Pension weitergab. «Es gibt heute noch Kunden, die davon sprechen, bei ‹Gritsch› einzukaufen, wenn sie vom Städtli-Shop sprechen», lächelt Dorit Hartmann. Sie selbst pflegt immer noch ein gutes Verhältnis zur langjährigen Ladenführerin. Heidi Gritsch lebt auch mit bald 94 Jahren noch im Gebäude über dem Lädeli.
Auf Kundenwünsche gehört
Dorit Hartmann ist seit mittlerweile 30 Jahren mit dem Städtli-Shop verbunden. Sie, die 1993 als Verkaufsaushilfe startete, ist über all die Jahre zum Gesicht des Ladens geworden. 2001 übernahm sie die Filialleitung und führt den Städtli-Shop seit mittlerweile zehn Jahren selbstständig. Die Marken Calida und Switcher sind seit jeher die Aushängeschilder von Hartmanns Städtli-Shop. Hinzu kommen weitere ausgewählte Marken und allerlei Nischenprodukte. Eine Ergänzung des Angebots, das sich vor allem aus Kundenwünschen spies. So findet man an der Marktgasse 17 heute neben Kleidern auch Regenschirme, Accessoires, Portemonnaies und vieles mehr. Dinge des Alltags, wo die Menschen sich sagten: «Kann doch nicht sein, dass man sie nirgends in der Altstadt kaufen kann. Könnte nicht der Städtli-Shop …?» Hartmann hatte sich bei derlei im Hinblick auf die begrenzte Ladenfläche manchmal selber zu bremsen. «Ich musste mir jeweils sagen: Dorit, du kannst nicht das ganze Städtli retten», lacht sie.
Keine Kataloge mehr
Für Dorit Hartmann war der Laden immer mehr als eine Arbeit. Vielmehr ein Ort der Begegnung, des Austauschs und «ein Ort auch, wo ich mich zu Hause fühle». Der Städtli-Shop hat zahlreiche Stammkunden. Menschen, die nicht nur zum Shoppen ins Lädeli kommen, sondern auch für einen kleinen Schwatz. «Ich scherze manchmal, dass ich auch als Psychologin arbeite», sagt Hartmann lächelnd. Doch sie mag dies so und würde es nicht anders wollen. «Weil ich Interesse an den Menschen habe und an den Vorgängen im Städtli.» Im Verlaufe der Jahrzehnte hat die 62-Jährige so manche Geschichte gehört. Anekdoten, mit denen sich Dutzende Seiten füllen liessen. «Manchmal bereue ich es, nicht Tagebuch geführt zu haben», lacht Hartmann.
Sich von alledem zu verabschieden, fällt verständlicherweise schwer. Und doch sind die Zeichen der Zeit überdeutlich. Ein selbstständiges Kleiderlädeli kämpft auf allen Seiten gegen übermächtige Konkurrenz. «Die Grossverteiler und vor allem der Onlinehandel» sorgen dafür, dass man als kleiner Fisch kaum mehr mit konkurrenzfähigen Margen kalkulieren kann. «Früher wurde die Marke Calida hauptsächlich über solche Lädeli wie den Städtli-Shop vertrieben», erzählt Hartmann. Heute jedoch betreibt die Kleidermarke eigene Filialen. Und Onlineshops. «Da kommt es vor, dass Produkte, welche ich zum regulären Preis bezogen habe, kurz darauf aus irgendwelchen Gründen mit 50 Prozent Rabatt vom Hersteller angeboten werden, weil er diese loswerden will. Solche Dinge brechen uns das Genick.» Auch die tägliche Arbeit hat sich für Hartmann gewandelt. «Früher genoss ich es, Kataloge durchzublättern und die Produkte zum Einkauf anzukreuzen. Mittlerweile gibt es keine Kataloge mehr. Alles nur noch online.» Ein Wandel, der nicht zum Wesen der Lädeli-Betreiberin alter Schule passt und der Hartmann zögerlich zum Schluss kommen lässt, dass es vielleicht auch sein Gutes hat, wenn jetzt bald fertig ist. Und doch bleibt unheimlich viel Wehmut. «Das Stöbern, Büscheln, Anordnen, Aufräumen – die ganze tagtägliche Arbeit im eigenen Lädeli. Das werde ich fest vermissen.»
«Meine Mutter verdient Auszeit»
Hartmann fällt es momentan noch schwer, sich auf die Zeit danach zu freuen. «Ich muss sie fast zwingen, dass sie auch die schönen Seiten daran sieht», sagt Tochter Leonie, die seit Teenager-Tagen im Laden hilft – auch heute noch einmal pro Woche. «Meine Mutter hat, seit ich denken kann, immer gearbeitet. Jetzt hat sie sich eine Auszeit verdient.» Dorit Hartmann lächelt. «Sie hat schon recht, es werden auch schöne Dinge kommen, auf die ich mich freue und die bisher nicht möglich waren.» Weit oben auf ihrer Prioritätenliste steht etwa Skandinavien. «Eine Reise zu den Nordlichtern ist ein Lebenstraum von mir.» Zunächst will sie die letzten Wochen in ihrem Städtli-Shop aber noch in vollen Zügen geniessen. Und die Zeit nutzen, um Danke zu sagen. «An all die vielen treuen Seelen, die mich all die Jahre in Bremgarten begleitet haben.»