Bremgartens Architekt
01.10.2024 BremgartenDas Städtli geprägt
Othmar Schaufelbühl blickt zurück auf sein Wirken
Vor einigen Tagen wurde der Architekt Othmar Schaufelbühl 90 Jahre alt. Schon jetzt ist sein Vermächtnis für Bremgarten und die Region riesig. ...
Das Städtli geprägt
Othmar Schaufelbühl blickt zurück auf sein Wirken
Vor einigen Tagen wurde der Architekt Othmar Schaufelbühl 90 Jahre alt. Schon jetzt ist sein Vermächtnis für Bremgarten und die Region riesig.
Marco Huwyler
Er hat noch immer viele Pläne. Die Gedanken drehen sich schnell. Die Ideen sind zahlreich. «Zum Beispiel habe ich schon eine schöne Vorstellung davon, was man hier mal bauen könnte, wenn ich nicht mehr bin», sagt er lächelnd. Mit «hier» meint Othmar Schaufelbühl sein Privatgrundstück in Bremgarten. Pläne gar über den Tod hinaus.
Die Altstadt als Spezialität
Dabei hat Schaufelbühl wahrlich bereits genug verwirklicht. Seit gut sieben Jahrzehnten wirkt er als Architekt in der Region und darüber hinaus. Und hat als solcher Hunderte Gebäude geprägt und gestaltet. Neue, zum Teil grosse Projekte, wie Schulhäuser. Aber auch viel Altehrwürdiges. Schaufelbühl hat diesbezüglich grosse Verdienste. Vor allem in Bremgarten. Auf die Restauration und ortsbildverträgliche Modernisierung von historischen Bauten hat er sich mitspezialisiert. Und es ist nicht vermessen, zu behaupten, dass die Bremgarter Altstadt – immer wieder als Kulturerbe gelobt und gerühmt – ohne sein Zutun heute nicht dieselbe wäre. Weit über 100 Gebäude tragen dort mit die Handschrift Othmar Schaufelbühls. In diesen Tagen feierte der Bremgarter Architekt seinen 90. Geburtstag im kleinen Familienkreis. Das grosse Fest hat er bereits vorgeholt. Das tun die Schaufelbühls immer. Denn Frau Bernadette wird einige Monate vorher jeweils gleich alt. «Dann feiern wir in der Mitte», lächelt der Jubilar. Doch der runde Geburtstag ist Anlass genug, um auf das Wirken eines prägenden Bremgarters zurückzublicken, dessen Ideen und Gedanken dem Städtli noch heute guttun.
Othmar Schaufelbühl hat Bremgarten geprägt wie kaum jemand
Nicht weniger als 129 Objekte allein in der Bremgarter Altstadt hat Othmar Schaufelbühl restauriert und umgebaut. Niemand kennt das Städtli so in- und auswendig wie er. Und auch sonst hat er in seinem bewegten Leben viel bewirkt in und um Bremgarten. Nun feierte er seinen 90. Geburtstag.
Marco Huwyler
Natürlich trägt das eigene Haus auch seine Handschrift. Vor mittlerweile über 60 Jahren hat er es konzipiert und detailgetreu nach seinen Vorstellungen in den Hang bauen lassen. Auf das Land, das er selbst dafür auserkoren hatte – und für 15 Franken pro m² erwarb. «Ich weiss es noch genau. Der Herr bei der Bank hat gemeint, auf dieser Kuhwiese lohne sich das Bauen nicht und wollte mir den Kredit nicht geben», lacht Othmar Schaufelbühl. Heute gehört die Wohnlage hoch über dem Itenhard-Quartier zu den exklusivsten und begehrtesten Bremgartens.
Hier ist bis heute nicht nur das Zuhause Othmar Schaufelbühls, sondern auch sein Architekturbüro. Er ist ein herzlicher Gastgeber. Und allein die Hausführung ein Erlebnis. Sie gleicht einem Kunstdurchgang und einer Führung durch Bremgartens Geschichte gleichermassen. Immer wieder kommen Objekte zum Vorschein, die er irgendwann, irgendwo in der Altstadt vor der Zerstörung gerettet hat. Alte Türfallen, Schlösser, Stühle, Bilder und sonstige Zeitzeugen. Und immer wieder begegnet man Skulpturen, Gemälden und Reliefs. Kunst ist allgegenwärtig. Viel davon stammt aus der Feder des Künstlers Jan Janczak, ein Weggefährte Schaufelbühls, mit dem er bis heute befreundet ist und der auch eine Zeit lang in Bremgarten lebte.
Auch Schaufelbühl selbst ist ein musischer Mensch, der sich gerne künstlerisch ausdrückt. Zwar nie publikumswirksam und kommerziell. Aber privat, etwa in Bildern und Reliefs – und subtil durch seine Arbeit. «Das Künstlerische war mir immer wichtig», sagt er. «Es ist oft eingeflossen in meine architektonische Tätigkeit, die immer auch ein Stück weit Selbstverwirklichung war.»
Mit Zirkel und Bleistift
Auf diese Art verwirklicht hat sich Othmar Schaufelbühl wahrhaft reichlich. Davon zeugen ganze Regale voll mit Ordnern. Abrechnungen, Pläne, Skizzen und Zeichnungen aus den vergangenen Jahrzehnten. Das meiste davon handgezeichnet oder -geschrieben. Auf gehäuseltes Papier. «Irgendwann kam die Zeit, da haben sie mir beim Rathaus gesagt, du Othmar, das geht so nicht mehr», schmunzelt Schaufelbühl. «Ich habe entgegnet: Warum nicht? Das ist schliesslich sauber und übersichtlich. Und habe es weiterhin so gemacht.»
Die irgendwann unabdingbare Computerarbeit übernahmen dann vorzugsweise andere. Auch wenn Schaufelbühl durchaus damit umzugehen weiss. Wie im Übrigen auch mit dem Smartphone. Er ist immer up to date geblieben. Auch im hohen Alter. Bloss mag er die Arbeit mit Bleistift und Zirkel bis heute lieber. Kein Wunder – schliesslich ist er mit ihnen ein Virtuose. Unzählige architektonische Projekte hat er im Laufe der Jahrzehnte damit angepackt und umgesetzt. Schweizweit. Aber vor allem in der Region.
Im Freiamt sind es Hunderte Gebäude, die Schaufelbühls Handschrift tragen. Schulen, Kirchen, Überbauungen, Privathäuser und Verwaltungsgebäude. Am meisten von allem prägte er Bremgarten. Insbesondere die Altstadt. «Ich habe mir diesen Ruf erarbeitet. Und so fragte man halt irgendwann meistens mich», sagt er achselzuckend. Das ist bescheiden. Denn mit seiner Fähigkeit, lösungsorientiert und ortsbildgetreu alte Gebäude schön und nachhaltig zu restaurieren suchte Schaufelbühl seinesgleichen. Auch in der Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz, um den andere Architekten vorzugsweise einen weiten Bogen machen. «Wobei ich mich gegen diesen, wenn es Sinn ergab, auch durchzusetzen wusste», schmunzelt Schaufelbühl. Auf seinem Pult liegt ein Plan. Der Blick darauf ist eindrücklich. Fast die Hälfte der Gebäude ist eingefärbt. Es sind die Altstadtobjekte Bremgartens, die Schaufelbühl umgebaut, restauriert und renoviert hat. 129 an der Zahl.
Albträume und Dachstöcke
Dass Bremgarten immer wieder das Herzstück und Zentrum seines architektonischen Wirkens war, ist kein Zufall. Denn hier ist Othmar Schaufelbühl geboren, aufgewachsen und fest verankert. Es war eine Kindheit in einer anderen Zeit. Wie man es sich heute kaum mehr vorstellen kann. Jahre im Bremgarten der 1930er- und 40er-Jahre, die ihn prägten. Und zuweilen auch ganz schön schwer waren. Noch heute, rund 80 Jahre später, wird Schaufelbühl emotional, wenn er über die Weltkriegszeit spricht. Im Falle eines bevorstehenden Angriffs hätten die Kinder getrennt von ihren Eltern und ins Réduit gebracht werden sollen. «Sie haben schon Marken verteilt», erzählt er leise. Auch der kleine Othmar erhielt eine. Und hatte grosse Angst. Er lag nächtelang wach. Oder hat davon geträumt. «Schlimme Albträume.»
Darüber hinaus erlebte er eine erlebnisreiche Kindheit. Zuweilen lustig, oft ziemlich streng. Die Schaufelbühls waren anpassungsfähig. Eigentlich war der Vater gelernter Bäcker mit einem Bauernbetrieb. «Der letzte in Bremgartens Altstadt», wie Othmar Schaufelbühl erzählt. Zwei Kühe, zwei Schweine, ein Pferd «und manchmal Ziegen» lebten auf dem Hof in der Schlossergasse. Dazu betrieben die Schaufelbühls Obstbau. Doch während des Kriegs wurde der Brennholzhandel zum Hauptgeschäft – weil die Kohle im Krieg knapp war und die Menschen in Bremgarten nun mit Holz heizten. Die ganze Familie half mit: Holz spalten, auf den Wagen laden und in die Haushalte der Altstadt verfrachten. Vor allem das Aufziehen des Brennholzes, das in den Estrichen der Altstadthäuser gelagert wurde, ist Othmar in bleibender Erinnerung. Einerseits wegen der harten körperlichen Arbeit. Andererseits aber auch, weil sie den Grundstein für seine Laufbahn legte. «Ich lernte so die Dachstöcke ganz Bremgartens kennen», lächelt er.
Gartenschulhaus als Türöffner
Für ihn mit seinem natürlichen Gespür für Räume, Anordnungen und Geometrien und seinem Auge für Details war der Zugang zu den vielen Altstadtbauten faszinierend und prägend. Später zeigte sich immer mehr ein aussergewöhnliches Talent, Dinge detailgetreu zeichnerisch auf Papier festzuhalten. Analytisch und künstlerisch. Ein Zeichnungslehrer in der Bez erkannte und förderte das Talent. Und vermittelte dem jungen Schaufelbühl eine «Stifti» als Hochbauzeichner, in der er aufging. «Schon dort habe ich mein erstes ganzes Haus konzipiert», erinnert er sich lachend. 300 Franken bezahlte ihm der Auftraggeber. «Inklusive Details für Elektrik, Sanitäres und so weiter.»
Später studierte und arbeitete Schaufelbühl in Lausanne. Spätabends legte er bei einem Architektur-Professor Nachtschichten ein, der seine Fähigkeiten erkannt hatte und froh um Unterstützung war. Schaufelbühl seinerseits sparte so für eine erste grosse Reise – per Schiff zu den USA. Bis heute ist die Reiserei eine grosse Leidenschaft geblieben. Eine Leidenschaft, die ihn prägte und während deren er auch immer wieder zeichnerisch tätig war und sich Inspiration holte. «Ausser in Japan und Australien bin ich eigentlich auf der ganzen Welt gewesen », sagt er.
Zurück aus den USA arbeitete Schaufelbühl eine Weile bei einem Architekturbüro in Zürich. Dort gelang ihm der Durchbruch. Unter Initiative und Federführung von Othmar Schaufelbühl erhielt das Büro den Zuschlag für den Neubau des Gartenschulhauses in Bremgarten. Danach machte sich Schaufelbühl mit knapp 30 bereits selbstständig und gründete ein eigenes Architekturbüro in seiner Heimatstadt. «Klar hätte das schiefgehen können», sagt er. Aber Schaufelbühl war kein Mann, der das Risiko scheut. «Es braucht freche Siechen. Damals schon», lacht er. Der Bremgarter war immer einer davon. Noch heute wünscht er sich mehr Wagemut. Weniger Trägheit. Weniger Engstirnigkeit. «Ich finde es schade, welch überzüchteter Apparat mit starren Regeln manches heute geworden ist.» Schaufelbühl denkt dabei insbesondere auch an die Stadtverwaltung seiner Heimatstadt, mit der er im Verlaufe der Jahrzehnte unzählige Erfahrungen machte. Positive und Negative.
Altes mit Leben füllen
Mit seinem eigenen Büro erlebt der unerschrockene junge Architekt in seinem Heimatstädtchen indes einen Senkrechtstart. Schon kurz nach der Eröffnung kann sich das Architekturbüro Schaufelbühl 1965 den Zuschlag für die Überbauung Fuchsäcker sichern. «Danach hatte ich fürs Erste keine finanziellen Sorgen mehr. Und konnte meinen ‹Döschwo› gegen einen Volvo tauschen», lacht Othmar Schaufelbühl. Einer Automarke, der er bis heute – mit kurzen Ausnahmen – treu geblieben ist. Genauso, wie Bremgarten. Verankert und nachweislich bestens qualifiziert mangelt es ihm hier nie an Aufträgen. Verlässlich, kreativ und lösungsorientiert hinterlässt er über die Jahre seine Spuren im Freiamt und darüber hinaus. Und mausert sich zum Experten schlechthin für die Altstadt. Vom Schlössli über den Hexenturm bis zum Rathaus. Wenn es besonders traditionsreich und altehrwürdig wird und die Verhältnisse schwierig, dann blüht er auf. «Ich habe eigentlich nie Nein zu einem Auftrag gesagt», sagt er.
Das liegt auch daran, dass Schaufelbühl die Arbeit in seinem mittelalterlichen Städtchen, wo er jeden Stein kennt, immer grosse Freude bereitet hat. «Altes am Leben zu erhalten, mit neuem Leben zu füllen oder es gar wieder zu erwecken, erfüllt mich zutiefst», sagt er. Noch heute läuft er stets mit einem Blick für die aktuelle und potenzielle Architektur durch Ortschaften.
Vor einigen Tagen wurde Othmar Schaufelbühl 90 Jahre alt. Doch als pensioniert, sieht er sich eigentlich noch immer nicht so richtig. Sein Büro (im eigenen Haus) hat er zwar längst an seine selbst hochgezogenen Nachfolger übergeben – doch gänzlich weg ist der Firmengründer nicht. Noch immer erhält er persönlich Anfragen. Noch heute wird er von Zeit zu Zeit beigezogen. So war Schaufelbühl beispielsweise involviert in den Umbau des prestigeträchtigen Stadthofs, der 2023 seine Wiedereröffnung feierte. Dass dessen Restaurant mittlerweile schon wieder leer steht, tut Schaufelbühl weh. Wie es ihm überhaupt stets weh tut, wenn etwas brach liegt in dieser Altstadt. So muss sich der 90-Jährige zügeln, wenn er an die neuen Eigentümer der «Sonne» und «Drei Könige» denkt – selbstredend zwei Gebäude, an denen er ebenfalls massgeblich mitgewirkt hat in den vergangenen Jahrzehnten. Für sie hat er allerdings kaum druckreife Worte übrig.
Schönes zum Einschlafen
Denn schlussendlich ist Schaufelbühl mehr als nur der Architekt Bremgartens. Er ist vor allem Bremgarter durch und durch. Das hat sich im Verlauf der Jahrzehnte immer wieder gezeigt. Etwa als Schaufelbühl vor über 50 Jahren erster Vereinspräsident des Kellertheaters wurde. «Dabei hatte ich damals mit Theater gar nichts am Hut», erinnert er sich lachend. Inständig war er damals gebeten worden. Weil man es ihm am ehesten zutraute, eine neue Bleibe für das Theater zu finden, das damals im Keller der alten Post einquartiert war. Schaufelbühl – selbst Ortsbürger – konnte die Ortsbürgergemeinde als Besitzerin des sanierungsbedürftigen Schellenhauses, davon überzeugen, das Haus umzubauen und dort Räume für das Theater zur Verfügung zu stellen. Den Umbau leitete Schaufelbühl natürlich selbst. Mit den anderen Theaterleuten hat er in Fronarbeit aus dem ersten Stock ein Theater gemacht.
Noch heute ist das Kellertheater bekanntlich dort zu Hause. Und noch heute ist Othmar Schaufelbühl Ehrenpräsident. Am Theater hat er mittlerweile durchaus Gefallen gefunden. Er, der sich die Besuche im Städtli mittlerweile gut überlegt («Weil ich kaum vorwärtskomme, so oft wie jemand gerne einen Schwatz halten würde»), ist des Öfteren an Vorstellungen anzutreffen. «Ich fühle mich wohl dort», sagt er. Einerseits der Nostalgie und der Nähe zu seinem Geburtshaus in der Schlossergasse wegen, wo Tochter Karin heute ihr Goldschmiede-Atelier führt. Andererseits wegen seinem Faible für Kunst und Kultur.
Architektur mag zwar ein Handwerk sein, aber eines, zu dem die Grenzen zur Kunst fliessend sind. Auf jeden Fall beseelt sie Othmar Schaufelbühl auch mit 90 Jahren noch. «Wenn ich beim Einschlafen an etwas Schönes denken will, denke ich oft an irgendwelche Pläne für ein Altstadthaus», lächelt er.
Zur Person
Othmar Schaufelbühl wurde am 14. September 1934 geboren. In Bremgarten ist er aufgewachsen und bis heute wohnhaft. 1964 gründete er hier sein eigenes Architekturbüro und spezialisierte sich unter anderem auf die Erhaltung von Altstadtliegenschaften. Er ist verheiratet mit der gleichaltrigen Bernadette Schaufelbühl. Sie haben vier Kinder, acht Enkel und einen Urenkel.