Blendende Aussichten
03.02.2023 Sport, Ski, Weitere SportartenDer Freiämter Ski-Boss Urs Lehmann vor der alpinen Ski-Weltmeisterschaft in Frankreich
Die Ski-Weltmeisterschaft geht am Montag los. Bis zum 19. Februar werden 13 Medaillensätze verteilt. Und die Schweiz ist hervorragend aufgestellt. «Selbst wenn der beste ...
Der Freiämter Ski-Boss Urs Lehmann vor der alpinen Ski-Weltmeisterschaft in Frankreich
Die Ski-Weltmeisterschaft geht am Montag los. Bis zum 19. Februar werden 13 Medaillensätze verteilt. Und die Schweiz ist hervorragend aufgestellt. «Selbst wenn der beste Trumpf nicht sticht, haben wir noch andere Asse im Ärmel», sagt der Freiämter Urs Lehmann, Präsident von Swiss-Ski.
Stefan Sprenger
Gut gelaunt, wie eigentlich immer, gibt Urs Lehmann ein Exklusiv-Interview. Treffpunkt ist die Similasan in Jonen, wo der Rudolfstetter seit über 10 Jahren Geschäftsführer ist. Beim Gespräch erklärt er, dass es auch geschäftlich bestens läuft. Und es scheint so, als würde er den Erfolg anziehen. Denn die Skination Schweiz ist in diesem Winter so siegreich wie selten zuvor. «Und das macht mir riesig Freude. Wir sind enorm breit aufgestellt. Wir haben in jeder Disziplin Kandidatinnen und Kandidaten für eine Medaille», sagt der 53-Jährige vor der Weltmeisterschaft in Courchevel und Méribel (Frankreich).
Im Februar vor 30 Jahren
Von Überf lieger Marco Odermatt, den Lehmann als «Geschenk für die Schweiz» bezeichnet, wird viel erwartet. Aber: «Weltmeisterschaften haben eigene Gesetze und es sind einzelne Rennen, da muss vieles passen», erklärt Lehmann, der heute in Oberwil-Lieli wohnt.
Und das weiss er aus eigener Erfahrung am besten. Denn in wenigen Tagen feiert Lehmann einen besonderen Tag. Am 11. Februar 1993 wurde er in Japan Abfahrtsweltmeister. «Ein Tag, der vieles veränderte», erzählt er heute.
Urs Lehmann blickt im Interview zurück – und voraus. Die Aussichten im Schweizer Skisport sind blendend. Er erzählt beim Gespräch, wieso seine Tochter Nina auch eine Skifahrerin wurde und welche gesundheitlichen Probleme ihn im letzten Jahr beschäftigten. Der Mann, der sagt: «An dem Tag, an dem ich keine Ziele mehr habe, habe ich aufgehört zu leben», spricht auch über einen seiner grössten Fehler. Und dieser ereignete sich nur wenige Monate nach dem euphorischen Weltmeistertitel 1993.
«Holy smoke, ich werde alt»
Urs Lehmann, Präsident von Swiss-Ski, über die WM, Similasan, das Älterwerden und ein besonderes Jubiläum
Gelassen und redselig wie immer: So zeigt sich der Freiämter Ski-Boss Urs Lehmann beim Interview. In den kommenden Tagen wird er wohl viel zu jubeln haben. Die alpine Ski-Weltmeisterschaft startet am Montag in Frankreich. «Und wir sind top aufgestellt», so der 53-Jährige aus Oberwil-Lieli.
Stefan Sprenger
Da kommt er rein, der Boss. Perfekter Anzug am Körper, aufreizende Uhr am Handgelenk und ein sympathisches Lächeln. Seit 14 Jahren ist Urs Lehmann der Chef der Similasan AG in Jonen. Der grösste Hersteller von homöopathischen Arzneimitteln in der Schweiz produziert unter anderem die weissen Kügelchen, die Globuli. An diesem Tag zeigt sich die Sonne und schimmert in das Sitzungszimmer namens «Arnica». Es passt bestens zur Gemütslage der Mitarbeiter, die irgendwie alle fröhlich sind – und es passt auch zur Gemütslage des Geschäftsführers Urs Lehmann.
Wie läuft es bei der Similasan?
Urs Lehmann: Sehr gut. Wir konnten vermehrt ins Ausland exportieren und auch den Standort hier in Jonen stärken. Wir verfolgen eine ambitiöse Wachstumsstrategie.
War Corona gut fürs Geschäft?
Corona per se nicht, nein. Es gibt da zwei Aspekte. Kurzfristig war es für das Business nicht förderlich, weil die Menschen durch die Maskenpflicht und die anderen Massnahmen in den beiden Coronajahren kaum noch Grippe oder Erkältungen bekommen haben. Das haben auch wir gespürt. Langfristig wird die Coronapandemie uns nützen, weil sich die Menschen bewusster natürlichen Heilmitteln zuwenden durch dieses Virus und auch die ganze Impfdiskussion.
Verkaufen Sie nach Corona mehr Globuli?
Unser Hauptprodukt sind die Augentropfen, die weltweit fast 70 Prozent ausmachen. Globuli spielen vor allem im Schweizer und österreichischen Markt eine wichtige Rolle. Grundsätzlich darf ich vermelden, dass wir ein Rekordjahr zu verzeichnen haben. Wir haben uns gestärkt. Wir konnten in der Coronakrise den Markt immer beliefern, weil wir auch hier in Jonen fast alles selbst produzieren – das konnten die Mitbewerber nicht. Dadurch sind wir gewachsen. Und auch im Marketing haben wir nicht zurückgefahren in der Coronazeit. Als es dann zurück in die Normalität ging, haben wir dies positiv gespürt. So ist die Similasan rund 30 Prozent gewachsen im letzten Jahr.
Geschäftlich läuft es also rund. Auch die Taxi-Unternehmen in Wohlen und Bremgarten/Mutschellen, bei denen Urs Lehmann involviert ist, funktionieren. Der Geschäftsmann hat nun Pause. Der sportliche Urs Lehmann ist an der Reihe. Und es ist Zeit, um zurückzublicken. Denn bald ist der 11.Februar. Es war dieser Tag vor exakt 30Jahren, der das Leben des Rudolfstetters für immer verändern sollte. An der Weltmeisterschaft im japanischen Morioka gewinnt der damals 23-Jährige Gold in der Abfahrt.
Bald ist der 11. Februar. Vor 30 Jahren holten Sie an diesem Tag Abfahrtsgold. Müssen Sie in diesen Tagen vermehrt zurückdenken an diesen glorreichen Tag?
Selbst habe ich es gar nicht auf dem Radar. Am Skirennen in Wengen kam ein Kumpel auf mich zu und meinte: «Bald hast du Jubiläum. Lass uns was machen.»
Und machen Sie etwas Besonderes an diesem Tag?
Nein. 1993 haben wir diesen Erfolg vor allem in Rudolfstetten so ausgiebig gefeiert, dass es noch für einige Jahre anhält (lacht). Es ist jetzt 30 Jahre her, meine Reaktion ist: Holy smoke, ich werde alt (lacht).
Sie waren damals 23 Jahre jung. Die Zeit vergeht.
Ja, die Zeit vergeht unglaublich schnell. In diesen drei Jahrzehnten ist aber auch sehr viel passiert.
Sind Sie zufrieden, wie alles gelaufen ist?
(Lacht.) Ich bin ein Mensch, der vorwärtsgerichtet ist. Aber manchmal muss man auch zurückblicken. Mir ist bewusst, dass diese Goldmedaille am 11. Februar 1993 vieles in meinem Leben geändert hat. Es war ein grosser Türöffner in verschiedener Hinsicht. Wenn ich damals nicht Weltmeister geworden wäre, dann wäre ich nicht Eurosport-Kommentator geworden, dann wäre ich nicht Renndirektor und Botschafter für Salomon geworden, dann wäre ich vielleicht nicht Swiss-Ski-Präsident. Und ich hätte wohl auch meine Frau nicht kennengelernt.
Wieso?
Ich durfte nach dem WM-Titel als Salomon-Botschafter mit 50 Leuten nach Kanada. Meine Frau Conny Kissling war ebenfalls als Botschafterin von Salomon dabei. Und da habe ich sie kennengelernt.
Gibt es Dinge in den letzten 30 Jahren, die Sie heute anders machen würden?
Ich bereue keine Entscheidung. Aber ich hätte Dinge anders gemacht. Fehler gehören zum Leben. Nur so lernt man.
Was war Ihr grösster Fehler?
Bevor ich Weltmeister wurde, habe ich entschieden, dass ich die eidgenössische Matur ein halbes Jahr später abschliesse. Ich dachte damals, dass ich das hinkriege. Das habe ich aber nicht. Ich habe die Matura zwar geschafft, aber durch die grosse Belastung von Training und Schule kam ich in ein körperliches Defizit. Ich habe mich verletzt und die ganze nächste Saison verpasst. Das würde ich heute anders machen, das war ein Fehler.
Was haben Sie noch für Ziele in Ihrem Leben?
An dem Tag, an dem ich keine Ziele mehr habe, habe ich aufgehört zu leben. Ich setze mir jeden Tag Ziele. Sei es privat, im Job oder im Sport.
Ziele im sportlichen Bereich?
Wir sind bei Swiss-Ski in neuen Dimensionen angekommen. Wir haben tolle Grossanlässe, die bevorstehen. Die alpine Ski-WM 2027 in Crans-Montana beispielsweise. Das pusht den Sport im Land, wenn die Athleten bei einer Heim-WM antreten dürfen. Wir wollen weiterhin die Rahmenbedingungen für erfolgreichen Sport schaffen.
Konkrete Ziele im privaten Bereich?
Wir haben eine 18-jährige Tochter, die langsam flügge wird (lacht).
Ihre Tochter Nina ist auch Skifahrerin. Zufall?
(Lacht.) Sicher nicht. Wir haben ihr immer alles offengelassen. Klavier spielen, Volleyball, sie durfte tun, was sie will. Aber wenn Mama und Papa den ganzen Winter auf Skipisten unterwegs sind, ist es naheliegend, dass die Tochter dies dann auch cool findet.
Freut es Sie, dass Ihre Tochter den Skisport auch mag?
Ja. Das macht mich stolz.
Ihre Einschätzung: Wird Ihre Tochter Nina einmal Weltmeisterin?
(Lacht.) Nichts ist unmöglich. Sie hat Talent, unbestritten. Sie ist in den Speed-Disziplinen stark. Aber: Sie war in letzter Zeit viel verletzt. Sie ist in ihrer dritten internationalen Juniorensaison, konnte aber nur selten eine längere Zeit am Stück fahren. In dieser Saison hat sie an zwei Abfahrten starke Leistungen gezeigt. Das Wichtigste ist, dass sie Freude hat. Und das hat sie, sie lebt für den Skisport. Alles Weitere wird sich zeigen.
Urs Lehmann muss husten. Keine Sorge, meint er. Er sei gesund. Doch das war im letzten Jahr noch anders. In diversen Berichten wird von einem «angeschlagenen Swiss-Ski-Präsidenten» geredet.
Familienvater. Eurosport-Kommentator. Swiss-Ski-Präsident. Geschäftsführer. Und auch Mensch. Wird es Ihnen manchmal zu viel?
Es ist sicher gerade im Winter viel, aber nicht zu viel. Und man muss Prioritäten setzen. Bei Eurosport bin ich seit 25 Jahren dabei. In dieser Saison habe ich bislang nicht kommentiert. Aber sie hätten mich gerne wieder dabei, die Türen sind offen. Nur ist es aktuell zeitlich nicht möglich.
Ihre anderen Verpflichtungen können Sie aber nicht so einfach ablegen.
Das will ich auch nicht.
Im letzten Jahr waren Sie gesundheitlich angeschlagen. War diese Mehrfachbelastung schuld daran?
Nein. Ich hatte erhöhte Entzündungen in den Gelenken. Körperlich ging es eine Zeit lang nicht gut, so, wie das jedem passieren kann. Aber ich wollte und will keine grosse Sache daraus machen.
Woher kamen denn diese Entzündungen?
Das konnte man leider nicht so genau sagen.
Und was denken Sie?
Ich glaube, dass solche Dinge einfach passieren können und es nicht immer einen Grund geben muss. Nicht alles ist erklärbar. Man muss es auch nicht überbewerten. Was mir geholfen hat – und da bin ich mir sicher –, war die Naturmedizin. Und heute geht es mir wieder bestens und ich bin topfit, das ist das Wichtigste.
Zurück in die Gegenwart. Die Ski-WM in Courchevel und Méribel steht an. In Frankreich könnte es für die Schweiz einen Medaillenregen geben. Die Schweiz führt überlegen in der Nationenwertung und gewann in 16 von 56 Rennen – dazu gab es 25 weitere Podestplätze. Urs Lehmann, der Präsident und Boss von Swiss-Ski, ist zuversichtlich, dass man an die Leistungen anknüpfen kann. Allen voran der Dominator Marco Odermatt sticht heraus.
Erklären Sie bitte das Phänomen Marco Odermatt.
Er ist wie das 8. Weltwunder. Und die ersten sieben kann ich auch nicht erklären (lacht). Er ist ein Geschenk für die Skination Schweiz. Solche Athleten gibt es ganz selten. Es gibt da viele Gründe, wieso er so stark ist. Er ist begnadet in seinem Talent, aber das alleine genügt bei Weitem nicht als Erklärung. Er hat ein tolles und unterstützendes Elternhaus. Mit seinem Vater bin ich vor über 30 Jahren schon Ski gefahren. Sie sind bodenständig, empathisch, f leissig. Und er hat sicher ein starkes Betreuerund Trainerteam. Materialtechnisch passt auch alles top. Er arbeitet hart, ist ehrgeizig. Er ist mental stark. Seine Lockerheit ist bewundernswert. Er bewegt sich auf den Ski manchmal wie eine Katze. Beispiel Kitzbühel. Andere Fahrer wären gestürzt und hätten sich verletzt, er konnte sich mirakulös fangen. Es sind ganz viele Aspekte, die zum Phänomen Marco Odermatt führen. Von den 100 Puzzleteilen, die es braucht, um erfolgreich zu sein, erreichen Odermatt und sein Umfeld, dass 99 Teile positiv sind.
Räumt Odermatt an dieser WM ab?
Das Potenzial hat er unbestritten. Er ist im engen Favoritenkreis. Er führt den Gesamtweltcup an. Er ist in starker Form. Aber: Weltmeisterschaften haben eigene Gesetze und es sind einzelne Rennen, da muss vieles passen.
Es ist nicht nur Odermatt. Die ganze Skination Schweiz ist stark aufgestellt.
Und das macht mir riesig Freude. Wir sind enorm breit aufgestellt. Wir haben in jeder Disziplin Kandidatinnen und Kandidaten für eine Medaille. Selbst wenn der beste Trumpf nicht sticht, haben wir noch andere Asse im Ärmel. Das ist beeindruckend, auch für uns selbst. Aber so macht es natürlich Spass.
Wird die Schweiz diese Ski-WM dominieren?
Das kann ich nicht sagen. Aber ich hoffe es natürlich. Es sind 13 Disziplinen und in allen haben wir Chancen auf eine Medaille. Im Sport ist nicht alles voraussehbar.
Was ist Ihre Hoffnung für diese WM?
Das Wichtigste sind die Leistungen der Athletinnen und Athleten. Wir investieren viel für den Erfolg. Nun hoffen wir auf möglichst viele Medaillen. Und ich hoffe auf einen tollen Sportanlass. Und Méribel und Courchevel haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie tolle Gastgeber sind. Die Erwartungen sind hoch. Meine Hoffnung ist am Ende, dass es ein grosses Skifest gibt mit vielen Schweizerinnen und Schweizern, die im Ziel jubeln können.
Similasan, Swiss-Ski – Urs Lehmann ist der Boss und sagt, wo es langgeht. Als er noch um ein Foto gebeten wird für diese Zeitung, muss er noch sein Hemd wechseln. Die Sponsoren von Swiss-Ski sollen ihren medialen Auftritt haben. Der Similasan-Chef mit dem hellblauen Oberteil wird zum Swiss-Ski-Präsidenten mit dem sponsorengeprägten Hemd. Das Hemd bringt ihm seine Frau Conny Kissling vorbei. Als Lehmann beim Hemdwechsel mit nacktem Oberkörper dasteht, ist sie gar für einen Scherz aufgelegt. Als Lehmann sich das Sakko wieder überzieht, kontrolliert seine Frau die Aufmachung, wischt ihm einen Fussel von der Brust. Und man merkt, jetzt ist Urs Lehmann für einmal nicht mehr der Boss.
Schlussfrage: Wie lange bleiben Sie noch Swiss-Ski-Präsident?
Ich erkläre es gerne sportlich: Ich bin aktuell auf der Strecke unterwegs, da hat ein Skifahrer den Tunnelblick. Fragen Sie mich im Mai nochmals wieder. Jetzt heisst es: Achtung, fertig, Vollgas.