Bewegungen für einen freien Geist
06.10.2023 Oberlunkhofen, KelleramtTanzen statt kämpfen
Die in Oberlunkhofen wohnhafte Startänzerin Natasha Korotkina möchte die Schweiz erobern
Natasha Korotkina ist eine international gefeierte Bauchtänzerin. Doch auf dem Zenit ihres Erfolgs musste sie vor dem ...
Tanzen statt kämpfen
Die in Oberlunkhofen wohnhafte Startänzerin Natasha Korotkina möchte die Schweiz erobern
Natasha Korotkina ist eine international gefeierte Bauchtänzerin. Doch auf dem Zenit ihres Erfolgs musste sie vor dem Krieg in der Ukraine fliehen – und kam ins Kelleramt.
Celeste Blanc
Wenn es still wird im Saal, die Musik anfängt zu spielen und das Licht nur auf sie gerichtet ist, dann ist Natasha Korotkina in ihrem Element. Mit einzigartigen Bewegungen weiss die Ukrainerin ihre Bauchmuskeln beim Tanzen zu bewegen. Mit diesem ganz eigenen Stil, den sie über Jahre perfektioniert hat, schaffte es die 30-Jährige bis ganz nach oben. In zahlreichen europäischen Produktionen des «Supertalents» sowie an internationalen Wettbewerben wird die Profitänzerin gefeiert. Doch dann bricht der Krieg in der Ukraine aus, und ihre Heimatstadt Mariupol, in der sich die junge Frau in diesem Moment aufhält, liegt nach tagelangen Bombardements in Schutt und Asche. Anstatt ausgelassen zu tanzen, muss Korotkina mit ihren Eltern einen Monat lang in einem Keller versteckt ausharren – ohne Wasser, ohne Strom, ohne Lebensmittel, ohne jegliche Kommunikation nach aussen.
Nach vielen Wochen haben Korotkina und ihre Eltern Sicherheit in Oberlunkhofen gefunden. «Ein wunderbarer Ort, an dem wir viel Unterstützung bekommen», erzählt die junge Frau. Und hier kann sie zum ersten Mal nach den schrecklichen Kriegserlebnissen endlich wieder tanzen. Korotkinas Schicksal, es ist eine Geschichte des grossen Verlusts, aber auch eine der ganz grossen Bühnen. Mit Ausdauer und Leidenschaft will sie nun zurück an die Spitze. Ihr erster grosser Auftritt in der Schweiz wird an diesem Wochenende am «Esquisse d’Orient», dem internationalen Festival orientalischer Tänze, in Lausanne sein.
Natasha Korotkina zeigt am internationalen Schweizer Festival orientalischer Tänze in Lausanne ihr Können
Die Ukrainerin Natasha Korotkina ist international als Choreografin und Bauchtänzerin bekannt. Durch den Kriegsausbruch in ihrem Heimatland ist sie in die Schweiz gekommen. Trotz des Schicksalsschlags verfolgt sie ihren grossen Traum weiter: Sie will Menschen mit ihrem besonderen Tanzstil begeistern – und eine eigene Tanzschule aufbauen.
Celeste Blanc
Freiheit – es ist ein wichtiges Wort für Natasha Korotkina. Denn die junge Frau weiss, was es bedeutet, wenn diese massiv eingeschränkt wird. In Mariupol – Korotkinas Heimatstadt – im Osten der Ukraine hat sie den Krieg hautnah miterlebt. Die Erfahrungen sitzen der jungen Frau noch heute tief in den Knochen und das Gefühl von permanentem Stress und Angst zeichnet sie heute noch. Sie klopft sich mehrmals und schnell auf die Brust, wenn sie über das Vergangene spricht. «Überall Bomben – da schien eine Flucht gefährlich und ein Entkommen aus dem total zerstörten Mariupol unmöglich. Es war einfach schrecklich.»
Trotzdem gelang ihr und ihren Eltern sowie dem Familienhund und der Hauskatze die Flucht, die sie in die Schweiz, konkret ins Kelleramt brachte. Ein glücklicher Ausgang, meint die Startänzerin heute. «Wie die Schweiz als Staat funktioniert, wie man sich hier sicher fühlt, das ist ein unglaubliches Geschenk.»
Wiedergefundene Lebensqualität
Die Freiheit wieder spüren, keine Angst mehr haben. Und vor allem endlich wieder tanzen können. Das ist für Korotkina wiedergefundene Lebensqualität. «Das Tanzen hat mir sehr geholfen. Es ist Therapie, Auspowern und Sich-Ausdrücken zugleich.» Für die ausgebildete Choreografin bedeutet das Tanzen Freiheit für den Geist. Kreativ zu sein, neue Dinge auszuprobieren, sich zu verwirklichen. Im gleichen Zug ist die Bewegung aber auch Freiheit für den Körper. «Sich so zu bewegen, wie man will, sinnlich oder einfach nur verspielt zu sein, das ist die pure Freiheit für mich.» Beim Tanzen komme sie zur Ruhe, zu sich selbst.
In der ganzen Welt unterwegs
Bereits ein paar Jahre vor dem Krieg hat sich die junge Frau mit ihrem ganz eigenen Tanzstil einen Namen als Choreografin und Bauchtänzerin gemacht. Mit der sogenannten «Bellydance Fusion» (dt.: Bauchtanz-Fusion) kombiniert sie verschiedene Stilrichtungen, mischt konkret den klassisch orientalischen Bauchtanz mit indischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Tanzelementen sowie Techniken der Körperbeherrschung. Davon zeugt ihre eindrückliche Bauchmuskel-Arbeit während ihrer Showeinlagen, die Juroren auf der ganzen Welt beeindruckt. Dank dieser Technik ist es der jungen Frau, die an der bekannten Tanzschule «National Academy of Culture and Arts» in Kiew einen Master-Abschluss in moderner Choreografie erworben hat, gelungen, sich mit ihrem eigens kreierten Bauchtanz abzuheben.
Natasha Korotkina, sie ist ein Ausnahmetalent. Mit ihren 30 Jahren kann sie auf reichlich Erfahrung zurückblicken. Ihr Lebensstil ähnelte dem einer Jetsetterin – immer auf dem Weg zum nächsten Auftritt, zur nächsten Chance, ihr Können zu präsentieren. In diesem Zusammenhang unterrichtete sie bereits auf der ganzen Welt, war unter anderem einige Jahre in Peking, Shanghai und Hongkong tätig. «Das waren sehr aufregende Zeiten», blickt sie zurück. Weiter reiste sie von einem Tanzfestival zum nächsten, gab Workshops oder gewann verschiedene Tanzwettbewerbe. Der ganz grosse Durchbruch gelang ihr durch die Teilnahme an zahlreichen TV-Formaten des «Supertalents», unter anderem in der Ukraine, Polen, Italien, Rumänien, Kroatien und Deutschland. «Ich war wirklich auf dem Weg nach ganz oben», meint sie. «Bis sich im Februar 2022 alles für mich änderte.»
Körperbeherrschung ist das A und O
Dass durch den Krieg ihr Weg unterbrochen wurde, bedauert die ehrgeizige Tänzerin. Dennoch: Aufgeben liegt nicht in ihrer Natur. Sie will fortan in der Schweiz weiter ihren Weg gehen, sich zurück an die Spitze kämpfen, ihren Traum verfolgen. So tritt sie an diesem Wochenende an der «Esquisse d’Orient», dem internationalen Schweizer Festival für orientalische Tänze in Lausanne, auf. An diesem zählt Korotkina zu den gross angekündigten Stars mit ihrem «Bellydance Fusion»-Stil. Eine gute Gelegenheit, ihre Bewegungen auch in der Schweiz bekannter zu machen. Obwohl sie als erfahrene Tänzerin bereits auf zahlreichen Bühnen in der ganzen Welt gestanden ist, ist ihr erster Auftritt in der Schweiz für sie alles andere als ohne. «Es ist zwar immer ein magischer, aufregender Moment, aber ich bin auch immer sehr nervös», lacht sie.
Und ein weiteres Ziel hat sie auch schon ins Auge gefasst: eine eigene Tanzschule in der Schweiz eröffnen und somit ihre Leidenschaft an die Schweizerinnen weitergeben. Denn Bauchtanz, sagt Natasha Korotkina, kann viel bewirken: Neben Sinnlichkeit und Stärkung der Weiblichkeit ist es ein wunderbares Work-out, es braucht viel Kondition und stärkt die Körperbeherrschung. Deshalb bietet sie seit März dieses Jahres in Unterlunkhofen einmal die Woche im Mehrzweckraum des Gemeindehauses einen Bauchtanzkurs an. Zudem eröffnet sie aktuell in Zürich eine weitere Gruppe. «Ich hoffe, so viele Menschen wie möglich begeistern zu können, um Kurse für unterschiedliche Altersgruppen anzubieten.»
Natasha Korotkina gibt jeweils am Dienstagabend um 19 Uhr Bauchtanzunterricht im Mehrzweckraum in Unterlunkhofen. Interessierte dürfen für eine Schnupperstunde vorbeischauen. Wer Fragen hat, kann sich unter natashakorotkinakor@gmail.com oder per Whatsapp unter 079 321 39 73 melden.