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28.02.2025 Widen, MutschellenGewaltige Kraft gefunden
Rudolfstetter Missionarin sprach in Widen
Mit zwölf Jahren vergewaltigt, mit 16 Jahren die Mutter verloren, dann Absturz in die Drogen und ab 21 Jahren wieder allmählich ins Leben zurückgekämpft – die ...
Gewaltige Kraft gefunden
Rudolfstetter Missionarin sprach in Widen
Mit zwölf Jahren vergewaltigt, mit 16 Jahren die Mutter verloren, dann Absturz in die Drogen und ab 21 Jahren wieder allmählich ins Leben zurückgekämpft – die Geschichte von Beatrice Hauser ist eindrücklich. Aufgewachsen ist die heute 63-Jährige in Rudolfstetten. Am Frühstückstreff in Widen erzählte sie aus ihrem Leben. Beatrice Hauser zeichnete auf, wie ihr der Glaube an Gott aus dem Elend half und wie sie mit 28 Jahren zur Mission am Nil kam, für welche sie bis heute tätig ist. --rwi
Die Rudolfstetterin Beatrice Hauser erzählte am Frühstückstreff aus ihrem bewegten Leben
Seit 35 Jahren arbeitet Beatrice Hauser für die «Mission am Nil International». Am Frühstückstreff der reformierten Kirche in Widen stellte sie nicht nur dieses Hilfswerk vor, sondern blickte auch mit bewegenden Worten auf ihr Leben als Kind und junge Erwachsene zurück.
Roger Wetli
«Ich wurde straffällig, galt als Hoffnungslose – und wenn sie mich nach Selbstmordversuchen gerettet hatten, dachte ich, wieso lasst ihr mich nicht verrecken», schilderte die in Rudolfstetten aufgewachsene Beatrice Hauser am Frühstückstreff. Später betonte die heute 63-Jährige: «Darum wurde die Mission am Nil mein zweites Leben. Durch den Glauben fand ich meinen Frieden und konnte mich versöhnen.»
Gesundgeliebt durch die Mutter
Hauser gliederte ihre Erzählungen in zwei Teile. Im ersten stand sie selbst im Mittelpunkt, im zweiten die Mission am Nil. In jungen Jahren musste sie mehrere massive Schicksalsschläge einstecken. Und dies, obwohl sie eigentlich in einem wohlbehüteten Umfeld aufwuchs. Ihre Mutter spielte einst Tischtennis in der Nationalliga B. Es wurde der Familiensport. Was niemand ahnen konnte, war, dass sich Beatrice Hausers Trainer an ihr vergreifen würde. Sie war damals zwölf Jahre alt. «Er würgte und bedrohte mich danach. Diese Drohungen konnten für mich nur heissen, dass er mich tötet, wenn ich etwas davon erzähle», sprach sie mit ruhiger Stimme in Widen. «Ich litt Todesängste. Meine Mutter spürte schnell, dass etwas mit mir nicht mehr stimmte. Ich war psychisch krank, litt an Verfolgungsängsten und konnte nicht mehr in die Schule.»
Der Täter wanderte schliesslich ins Gefängnis. Er hatte sich noch an weiteren Kindern vergriffen. «Meine Mutter liebte mich sprichwörtlich gesund. Nach zwei Jahren war ich gesund, hatte sogar einen Freund», strahlt Hauser. Beim nächsten Satz stockte den Anwesenden des Frühstückstreffs erneut der Atem: «Als ich 16 Jahre alt war, wurde bei meiner Mutter Krebs diagnostiziert. Sie starb innert neun Monate. Sie hatte mir immer Halt gegeben. Mit ihrem Tod brach mir diese Stütze weg. Es kam alles wieder zurück. Ich litt erneut an Verfolgungsängsten.» Als «Mutterersatz» fand sie Drogen, zu denen sie als Arztassistentenlehrling einfachen Zugang hatte. «Ich verwahrloste, verlor sämtliche Perspektiven und machte verschiedene Entzugskuren durch, die aber nie lange hielten», blickte Beatrice Hauser zurück.
Angst, dass es nach dem Tod noch schlimmer sein könnte
Dem Glauben an Gott hatte sie schon lange abgeschworen. Konfirmieren liess sich Hauser einst nur, weil sie zu diesem Anlass eine Rado-Uhr erhielt. Den Konfirmationsspruch des Pfarrers zerriss sie noch am selben Tag. Doch nach und nach kam die Drogensüchtige mit der Heilsarmee in Kontakt. «Mir fielen die strahlenden Augen dieser Leute auf der Strasse auf. Doch ich vergass sie wieder. Später folgte ich einer Einladung zu einem von ihnen gezeigten Film nur, weil sie dazu ebenfalls Würstchen und Brot versprachen.» Trotzdem sei ihr der Film eingefahren. «Ich dachte zum ersten Mal, ob es vielleicht doch einen Gott gibt – und vergass es wieder.»
Später wurde sie schwer krank. Beatrice Hauser fühlte, dass sie bald sterben könnte, und hatte plötzlich Angst vor dem Tod. «Ich hatte Angst, dass es mir nach dem Tod noch schlechter gehen würde als jetzt. Also erinnerte ich mich an die Worte der Heilsarmee, dass Jesus am Kreuz für alle Sünden gestorben ist und es deshalb Hoffnung gibt. Mit 21 Jahren bin ich zum ersten Mal hingekniet und habe ganz intensiv gebetet.» Nach und nach sei es ihr wieder besser gegangen – trotz Rückschlägen. «Die siebte Drogenentziehungskur wirkte nachhaltig. Ich schloss meine Lehre ab, vergab meinem Vergewaltiger und überwand mein Trauma», ist sie dankbar. Beatrice Hauser arbeitete wieder als Arztgehilfin.
Biografische Leitsprüche
Sieben Jahre nach dem Wendepunkt in Richtung Drogenfreiheit besuchte sie einen Vortrag der «Mission am Nil» über deren Arbeit. Dort hiess es, dass die Mission junge Leute für den Dienst in Afrika suche. «Ich bewarb mich – ohne grosse Hoffnung, dass sie mich nehmen. Ich dachte, dass dem meine Vergangenheit im Weg steht.» Doch sie wurde aufgenommen, absolvierte in Tansania eine Ausbildung zur Augenschwester und half fortan den Leuten in einer einfachen Klinik auf dem Land. Nach zehn Jahren sorgte eine Krankheit dafür, dass sie in die Schweiz zurückkehrte, wo sie bis heute für die «Mission am Nil» arbeitet. Äthiopien besucht sie aber immer noch regelmässig als Reiseleiterin.
«Wirklich gesund ist der, dessen Seele nicht krank ist», zitierte Beatrice Hauser am Frühstückstreff einen Leitspruch der «Mission am Nil». Und: «Wirklich satt ist, wer Lebenssinn gefunden hat.» Und auch der dritte Leitspruch der Mission ist für Beatrice Hauser keine hohle Phrase: «Wirklich weise ist, wer Wissen umsetzen kann.» In Widen offenbarte die Rudolfstetterin, welch tiefe Bedeutung für sie diese Sätze haben. Und wie sehr diese ihr eigenes Leben beschreiben.
Befähigen, sich selbst zu helfen
«Mission am Nil» bildet Einheimische aus
Beatrice Hauser arbeitet seit 1989 für die «Mission am Nil». Diese betreibt und unterstützt verschiedene Projekte in Ägypten, Sudan, Eritrea, Kongo, Tansania und Äthiopien. Nachdem die Rudolfstetterin zur Vorbereitung auf den geplanten Einsatz in Ägypten ein halbes Jahr Arabisch gelernt hatte, wurde sie nach Äthiopien ins Walga-Gesundheitszentrum gerufen, wo mit Amharisch nochmals eine völlig andere Sprache geredet wird. «Ich lernte auch diese relativ rasch und absolvierte zusätzlich ein Kurzstudium in Augenheilkunde.» Zehn Jahre lang heilte sie verschiedene Augenkrankheiten und arbeitete unter einfachsten Bedingungen. Im Bewusstsein, dass ihr Leben endlich ist, bildete Beatrice Hauser parallel Einheimische in ihrem Beruf aus.
Als sie 1999 eine Krankheit zur Rückkehr in die Schweiz zwang, konnte sie Äthiopien mit gutem Gewissen verlassen. «Unsere Mission beschäftigt über alle sechs Länder verteilt rund 400 Mitarbeiter – darunter nur eine Handvoll Europäer. Im Walga-Gesundheitszentrum sind es 70 Äthiopier und eine Schweizer Familie», erzählte Hauser am Frühstückstreff mit spürbarer Freude.
Sie nannte Beispiele: «Der heutige Klinikleiter kam einst als schwer kranker Bube in das Zentrum, wurde gesund und konnte eine Ausbildung machen. Eine Äthiopierin, die als Putzfrau anfing, arbeitet heute als Chefhebamme und ist Teil der Klinikleitung. 600 bis 800 Kinder kommen dort jedes Jahr zur Welt.»Hilfe zur Selbsthilfe ist ein wichtiger Grundsatz der «Mission am Nil»: Menschen in Afrika anleiten, sie ausbilden, damit sie anderen helfen können. «Viele sind lernbegierig, haben aber selbst nicht die Möglichkeit, eine Ausbildung zu absolvieren, weil ihnen das nötige Geld fehlt», weiss Hauser. Sie beteuerte: «Ziel unserer Mission ist letztlich, die lokalen Mitarbeiter so zu fördern, dass wir uns überflüssig machen. Und daran arbeiten wir täglich.» --rwi
Weitere Informationen: www.mn-international.org