Am Wunder gekitzelt
28.11.2023 Ringen, SportRingen, NLA, Halbfinal, Rückkampf: Die RS Freiamt gewinnt gegen Kriessern (17:14), verpasst aber trotzdem den Final
Die Moral gross, der Glaube riesig. Die 700 Zuschauer in der Murianer Bachmattenhalle erlebten einen hoch spannenden Abend. Die Freiämter Ringer ...
Ringen, NLA, Halbfinal, Rückkampf: Die RS Freiamt gewinnt gegen Kriessern (17:14), verpasst aber trotzdem den Final
Die Moral gross, der Glaube riesig. Die 700 Zuschauer in der Murianer Bachmattenhalle erlebten einen hoch spannenden Abend. Die Freiämter Ringer schaffen beinahe die Wende in einem irren Duell. Doch am Ende war die Hypothek aus dem Hinkampf zu gross.
Stefan Sprenger
Eine Gefühlsexplosion. Marc Weber schreit in die Freiämter Fans, bis ihm die Luft ausgeht. Er ist der Grund, wieso die Bachmattenhalle bebt, die «Gelb-Blaue Wand» komplett durchdreht und der Freiämter Glaube an das kleine Wunder immer grösser wird. «Mein Trommelfell ist beinahe geplatzt. Diesen Moment hätte ich am liebsten angehalten», sagt Weber. Für solche Kämpfe, für solche Momente, «dafür trainiert man das ganze Jahr».
Es ist der drittletzte Kampf. Im Duell bis 80 kg Greco steht ihm Fabio Dietsche gegenüber. Der Kriessner zieht einen ganz üblen Tag ein. Weber hat alles im Griff. Der 26-jährige Kaderringer profitiert auch von den Kampfrichtern. Weil Dietsche immer wieder Webers Hand blockiert und den Kopf tief hält, wird er wegen Kampfverweigerung von der Matte gestellt. Disqualifikation. 4:0 Teampunkte für Freiamt. Die Stimmung im Lager der Ostschweizer kippt, es wird gegen Bänke getreten und geflucht. 16:10 führen die Freiämter. Die sieben Punkte Vorsprung aus dem Hinkampf – als Kriessern mit 21:14 siegte – sind beinahe egalisiert.
Kriessern bibbert
Es ist der Moment, als die Ringerlegende Hugo Dietsche grosse Zweifel kriegt, ob es noch in den Final reicht. Der Olympia-Bronze-Ringer und heutige Spitzensportchef der RS Kriessern sagt: «Da dachte ich, es wird jetzt so richtig eng.» Und die Freiämter glauben jetzt allesamt, dass es zur irren Wende reichen kann. Denn in den letzten zwei Kämpfen sind die beiden Routiniers und Ex-Internationalen Pascal Strebel (Olympiateilnehmer) und Randy Vock (EM-Bronze-Gewinner) auf der Matte.
Pascal Strebel tritt gegen David Loher an. Und alle in der Halle wissen, was vor genau einer Woche passiert ist. Strebel holte im letzten Duell einen Schultersieg und liess durch die 4:0 Teampunkte die Hoffnung auf eine Aufholjagd wieder aufblühen – wenigstens ein bisschen. Doch am vergangenen Samstag gelingt ihm das nicht. «Natürlich habe ich dasselbe vorgehabt wie vor einer Woche», sagt der 34-Jährige. Aber sein Gegner hat aus den Fehlern gelernt und war optimal vorbereitet. Loher, ein Kaderathlet, hat riesigen Biss und ringt Strebel in diesem Duell bis 75 kg Greco mit 2:2 nieder. Die Revanche gelingt. «Er macht keine Punkte. Ich verschenke sie», sagt Strebel. Es gibt 1:2 Teampunkte für Kriessern. 17:12 steht es und ein Kampf bleibt übrig.
Blut in fast jedem Duell
Randy Vock muss nun im letzten Duell gewinnen, und zwar deutlich. Doch die Spannung kommt nicht mehr auf. Zu einseitig ist das Duell um 75 kg Freistil. Zu stark ist Marc Dietsche von der RS Kriessern. Sein Vater Hugo jubelt draussen am Mattenrand und sagt: «Das hat nochmals Nerven gekostet. Kompliment an diese willensstarken Freiämter. Am Ende spielt alles keine Rolle, wir haben es in den Final geschafft.»
Der frühere Olympiaringer Reto Bucher ist heute Speaker an den Heimkämpfen der Ringerstaffel Freiamt. Als das letzte Duell vorüber ist und die Freiämter den Final verpassen, sind ihm die Enttäuschung und gleichzeitig der Stolz anzusehen. «Das war feinste Ringerkunst und hoch spannend bis zum letzten Kampf.» Die beiden Teams forderten sich gegenseitig alles ab. In praktisch jedem Duell muss ein Ringer blutend gepflegt werden.
Von den 20 Kämpfen in diesen beiden Halbfinal-Duellen holt jedes Team 10 Siege. Es war enorm eng. Trotzdem haben die Ostschweizer den Sieg ein bisschen mehr verdient als die Freiämter. Die Gründe, wieso Kriessern mit dem Gesamtskore von 35 zu 31 in den Final gegen Willisau einzieht, liegt in vielen kleinen Dingen. Kriessern ist eine Spur abgeklärter und cleverer. Und sie erlauben sich weniger Aussetzer als die Freiämter, die im Hinkampf teilweise völlig von der Rolle sind und alle fünf Duelle «zu null» verlieren.
Am Samstag in Muri zeigen die Freiämter aber eine heftige Reaktion. Der Glaube an die irre Wende keimt auf. Ein wichtiges und positives Zeichen für alle, die mit der RS Freiamt etwas zu tun haben. «Wir haben Lust verbreitet», sagt Trainer Michi Bucher. «Wir haben viel Moral gezeigt. Und doch haben wir einige Chancen liegen lassen. Ringerisch waren wir in diesem Halbfinal weit entfernt von unserem Optimum.»
Einsiedeln «kein Selbstläufer»
Die Defizite der RS Freiamt wurden in diesem Halbfinal von Kriessern schamlos aufgedeckt. Mit Ausnahme von Saya Brunner, Nino Leutert (siehe Text unten) und Marc Weber gelingt niemandem ein Exploit. Nun müssen sich die Freiämter nochmals auf bäumen, denn im Kampf um Bronze geht es gegen Einsiedeln. Und die haben im anderen Halbfinal gegen Willisau gezeigt, dass sie sehr ernst zu nehmen sind. Das Gesamtskore war am Ende «nur» 41:35 für Willisau. «Das wird kein Selbstläufer», sagt Trainer Bucher. «Wir haben jetzt mit unserer Leistung gezeigt, dass es sich lohnt, an unsere Kämpfe zu kommen.» Nur schon die Gefühlsexplosion in der Halle nach dem Kampf von Marc Weber war das Eintrittsgeld wert. Und das ist irgendwie auch ein Erfolg.