Vom Taifun zur leichten Bise
26.11.2019 RingenRingen, NLA, Halbfinal-Hinkampf: Die RS Freiamt besiegt die RS Kriessern vor 800 Zuschauern mit 19:17 (13:4)
Zuerst kraftvoll, dann gebrechlich: Die Ringerstaffel Freiamt fegt Kriessern in der ersten Halbzeit von der Matte. Nach dem Kampf ist die Gemütslage trotzdem ...
Ringen, NLA, Halbfinal-Hinkampf: Die RS Freiamt besiegt die RS Kriessern vor 800 Zuschauern mit 19:17 (13:4)
Zuerst kraftvoll, dann gebrechlich: Die Ringerstaffel Freiamt fegt Kriessern in der ersten Halbzeit von der Matte. Nach dem Kampf ist die Gemütslage trotzdem zwiespältig. Die Oldie-Joker stachen nicht zu. Die Ausgangslage bleibt höchst spannend.
Stefan Sprenger
Der Deckel fliegt von der Flasche. Das Bier schäumt heftig, es steigt den Flaschenhals empor und überquillt. Hugo Dietsche muss ganz schnell einen Schluck nehmen, damit nicht alles Bier ausläuft. Der Trainer der Ringerstaffel Kriessern scheint gut drauf zu sein. Diese Szene ereignet sich nur wenige Sekunden nach Kampfschluss. Freiamt gewinnt 19:17. Feiert dieser Dietsche tatsächlich eine Niederlage? Der Trainerfuchs relativiert: «Zur Pause sah es schlecht aus. Aber am Ende bin ich zufrieden, wir haben unser Ziel erreicht. Der Wind hat in der Halbzeit gedreht.»
Jener Wind war ein wahrhafter Freiamt-Taifun. Nils Leutert zerzaust Dorien Hutter zum Start. «Ich konnte den Kampf so gestalten, wie ich mir das vorgenommen hatte», sagt der 20-Jährige. 18:0-Sieg nach etwas über zwei Minuten. Nils Leutert hat Tränen in den Augen. «Die letzten Wochen waren aufgrund einer Knieverletzung nicht leicht für mich. Ich war einfach überglücklich», sagt er. Man spürt: Ihm fallen nach dem klaren Sieg tonnenschwere Steine vom Herzen. Der Grund: Im Vorjahr verlor er den ersten Kampf auf heftige Art und Weise. Damals war es der Anfang vom Ende im Halbfinal gegen Kriessern. Im Jahr 2019 ist es der Startschuss für eine grandiose erste Halbzeit.
Der blutende Roman Zurfluh besiegt Damian Dietsche. Nino Leutert bodigt Christoph Wittenwiler. Auch der zweite Sohn des Trainers liefert einen 4:0-Sieg ab. «Einfach top», so der Kommentar von Trainer Marcel Leutert, der gleichzeitig stolzer Papa ist. Wenn es um seine Söhne geht, dann will er aber nicht zu viel sagen. Braucht es auch nicht nach solch diskussionslosen Leistungen. Noch vor der Halbzeit folgt die erste Pleite. Jeremy Vollenweider unterliegt Jürg Hutter.
«Crazy Randy» und der Flüchtigkeitsfehler
Auf den 144 m2 Ringermatte folgt dann einer der Höhepunkte des Abends und der mit grösster Spannung erwartete Fight zwischen Freiamts Randy Vock und dem Supertalent Dominik Laritz. Der Niederwiler EM-Bronze-Sieger hatte von Beginn an den Killerblick im Gesicht. Die einzige Niederlage im Ringerjahr 2019 fügte ihm jener Laritz zu. «Crazy Randy» sorgte dafür, dass dies nicht mehr geschieht. «Ich habe gezeigt, was ich kann», meint er. Furchtlos und mit grosser Routine startet Vock. Er geht in Führung, der Gegner kann nicht punkten. Bis 30 Sekunden vor Schluss liess Vock dem Gegner keine Chance.
Die Ü45-Trainer liefern nicht
Doch dann folgt ein Lapsus. «Ein Flüchtigkeitsfehler», wie es Randy Vock nennt. Diese Viererwertung kostet Freiamt am Ende zwei Mannschaftspunkte.
Dieser Kampf war dann irgendwie sinnbildlich für den ganzen Auftritt der RS Freiamt. Zu Beginn sackstark und im weiteren Verlauf des Duells unkonzentriert und immer harziger. Denn auf das sensationelle 13:4 zur Pause folgen im zweiten Durchgang vier Niederlagen. Nur Pascal Strebel siegt (siehe Bericht unten). Die Pleiten von Marc Weber gegen Ramon Betschart und von Michael Bucher gegen Marc Dietsche waren einkalkuliert. Allerdings haben sich die Freiämter von ihren Oldie-Jokern wohl mehr versprochen. Reto Gisler, 45 Jahre alt, Leistungssportchef der RS Freiamt und Freistil-Trainer, er kommt gegen Tobias Betschart ziemlich unter die Räder. «Ich habe nicht mit einem Sieg von Reto Gisler gerechnet», relativiert Trainer Leutert. Die 1:12-Pleite war aber klar zu hoch. Und Andrey Maltsev, 46 Jahre alt, Greco-Trainer der Freiämter, auch er muss einstecken gegen den cleveren David Hungerbühler. Der Kampf wurde zuvor als «offen» bezeichnet. Es gab eine herbe 5:12-Pleite für Maltsev. «Ich habe auf Erfahrung gesetzt», so Trainer Leutert und fügt an: «Es war die bestmögliche Aufstellung.» Hugo Dietsche, Kriessern-Trainer, bestätigt dies. «Ich habe mit dieser Variante gerechnet. Es war Freiamts beste Aufstellung momentan.»
Die Favoriten-Karte wird zugeschoben
Die Freiämter haderten nach dem Schlusspfiff. Auf die grandiose erste Halbzeit folgt ein fahriger zweiter Durchgang. Auf den Taifun folgt die leichte Bise. «Wir haben gewonnen, allerdings viel zu knapp», meint Trainer Leutert. Randy Vock, einer der Team-Leader, sagt: «Wir müssen locker bleiben. Wir haben nichts zu verlieren im Rückkampf. Kriessern wurde zuletzt drei Mal Schweizer Meister. Sie sind eine Wundertüte und sie sind der Favorit.» Da hat Kriessern-Trainer Dietsche Einwände. Er sagt: «Wir wurden zuletzt dreifacher Meister. Wir dürfen in den Final, die Freiämter müssen.»
So versucht jede Mannschaft dem Gegenüber den Druck vor dem entscheidenden Duell am Samstag (20 Uhr) in der Ostschweiz hinüberzuschieben. Fakt ist: Als die Freiämter nach der ersten Halbzeit das Gefühl hatten, alles läuft prima, sind sie eingebrochen. Von da her ist es gut, dass Freiamt-Trainer Leutert nach Kampfende betrübt war und Dietsche zufrieden ein überschäumendes Bier genoss.





