Träumen von grossen Dingen
20.09.2024 SportDer Bestimmung folgen
Melanie Hasler vor der neuen Saison
Anfang Dezember startet die Saison für die Beriker Bobpilotin Melanie Hasler. Sie blickt zurück auf die Anfänge ihrer Karriere sowie in Richtung Zukunft und Olympia 2026.
Melanie Hasler ist die beste Bobfahrerin der Schweiz. Vor sieben Jahren hat sich dieser Weg noch nicht abgezeichnet. Die Berikerin spielte damals Volleyball an der nationalen Spitze, verlor aber immer mehr die Freude an diesem Sport. Sie betete zu Gott, dass sie wieder etwas findet, was ihr Spass macht. Kurze Zeit später erhielt sie die Möglichkeit, in einem Bob zu sitzen.
Die Karriere danach kann sich sehen lassen. Sie startet erst im Europacup, dann im Weltcup. Insgesamt sechs Mal steht sie bei Weltcuprennen im Zweierbob auf dem Podest. Im Monobob einmal. An den Olympischen Spielen in Peking holt sie zwei Diplome. Jetzt fokussiert sie sich auf Olympia 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo. Hasler sagt: «Vielleicht fahre ich so lange, bis ich die beste Bobfahrerin der Welt bin. Es kann aber auch sein, dass ich nach Olympia aufhöre.» Sie vertraut darauf, dass alles so kommt, wie es kommen muss. --red
Bob: Die Freiämter Olympionikin Melanie Hasler über sportliche Ziele, Gott und das Leben
Sie ist die Nummer 1 der Schweiz. Bobpilotin Melanie Hasler will sportlich hoch hinaus und opfert dafür viel. Aus Überzeugung, aus Liebe zum Sport. «Ich folge meiner Bestimmung», sagt die 26-Jährige.
Stefan Sprenger
Sie betet zu Gott. «Bitte gib mir etwas, was mir wieder Freude bereitet», sind ihre Gedanken in den Himmel. «Bitte gib mir etwas, wofür ich wieder Feuer und Flamme bin.» Dieses Gebet wiederholt sie 2017 oft, sehr oft. In jener Zeit fiel Melanie Hasler in ein emotionales Loch. Die Berikerin geht an die Sportschule, spielt Volleyball an der nationalen Spitze. Doch sie verliert die Lust. «Ich weiss auch nicht genau wieso, ich wollte einfach nicht mehr.»
Tränen und Dauergrinsen
Und just in jener Zeit beginnt sie zu beten. Ihre Mutter sei gläubig, «aber nicht intensiv», wie sie meint. Ihre Schwester Chabeli allerdings schon. Sie nahm sie mit in die Kirche. In einem Moment, wo sie nicht mehr weiter wusste im Leben. «Beim ersten Besuch in der Kirche musste ich weinen. Aus Verzweiflung.» Aber es war okay. Sie spürte, dass dies etwas Gutes ist.
Und es sollte auch etwas Gutes daraus entstehen. In ihrem Gebet in den folgenden Wochen wiederholte sie folgenden Satz in ihren Worten nach oben: «Bitte gib mir etwas, wofür ich wieder Feuer und Flamme bin.» Und sie fügte an: «Lieber Gott, es muss auch nicht unbedingt Spitzensport sein.»
Als sie heute dies erzählt, muss Melanie Hasler laut lachen. Denn es wurde doch Spitzensport. 2017 erhält sie eine Anfrage, ob sie nicht einmal in einem Bob sitzen möchte. Mit ihrer enormen Sprungkraft und ihren starken physischen Voraussetzungen war sie wie geschaffen für diesen Sport und den Bob-Talentjägern aufgefallen. Die erste Reaktion auf die Einladung war nicht überschwänglich. «Ich war neugierig, mehr nicht.» In St. Moritz fährt sie erstmals mit dem Bob den Eiskanal runter. Und dann tut sie dies ein paar Minuten später ein zweites Mal. «Ich hatte fortan ein Dauergrinsen im Gesicht», erzählt sie. Sie hat ihr Puzzleteil gefunden, dass sie vollständig macht – zumindest sportlich. Oder wie sie sagt: «Ich war wieder Feuer und Flamme. Endlich.»
Die Hochs und die Tiefs
Wie die Geschichte weiterging, ist heute – sieben Jahre später – in der Sportwelt bekannt. Hasler wird erst Anschieberin, dann Pilotin. Sie startet erst im Europacup, gibt 2020 ihr Debüt im Weltcup. Heute ist sie die beste Bobfahrerin der Schweiz. An Weltcuprennen im Zweierbob schafft sie es insgesamt sechs Mal auf das Podest. Im Monobob einmal. An den Olympischen Spielen in Peking holt sie zwei Diplome (Zweierbob Platz 6, Monobob Platz 7). Letzte Saison gewinnt sie in der Kombinationswertung des Monound Zweierbobs eine Kristallkugel. Heisst: Sie fährt auf das Podest dieser Wertung (3. Rang) – und ist damit endgültig an der Weltspitze angekommen. «Gut» und «zufriedenstellend» sei die letzte Saison gewesen.
Aber die letzte Saison hatte auch seine Tiefen. Kleinere Verletzungen hemmten ihre Saison. Dazu kam der schwere Sturz des Schweizer Viererbobs Anfang Februar. Anschieber Sandro Michel verletzt sich schwer, war kurzzeitig gar in Lebensgefahr. Pilot Michael Vogt – der Freund von Melanie Hasler – erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und eine Schulterverletzung. «Diese Zeit war schwierig», sagt sie. Ihrem Partner Vogt geht es mittlerweile wieder gut – zumindest was die Folgen des Sturzes angeht. Er musste sich kürzlich einer Bandscheiben-OP unterziehen. Ob in guten oder in schlechten Zeiten, Melanie Hasler ist immer an seiner Seite. «Wir gehen durch dick und dünn, logisch», sagt sie.
Die Zukunft
Dass manche Dinge im Leben anders verlaufen, als man eigentlich plante, das weiss Hasler aus eigener Erfahrung. Ihr Weg von der Volleyballspielerin zur Bob-Olympionikin ist ein gutes Beispiel dafür. Wo führt ihre Karriere noch hin? Sie antwortet: «Vielleicht fahre ich so lange, bis ich die beste Bobfahrerin der Welt bin.»
Man spürt, dass sie diesen Sport mit Leidenschaft macht. Sie ist eine Spitzensportlerin aus voller Überzeugung. Und das in den kalten Monaten, wenn die Saison läuft, wie auch im Sommer. Während der warmen Monate war sie grösstenteils zu Hause in Berikon, trainierte meist im «OYM» in Cham. Fast täglich. Während sie sich im letzten Jahr eine einmonatige Auszeit in der Dominikanischen Republik (der Heimat ihrer Mutter) gönnte, verzichtete sie 2024 auf längere Ferien. «Um zu trainieren», sagt sie. Im Nachhinein hat es allerdings wenig gebracht, denn Hasler war im Juni und Juli rund vier Wochen krank und konnte kaum trainieren. Auch deswegen sagt sie: «Meine Leistungskurve muss vor dem Saisonstart schon noch ein wenig steiler werden.»
Doch sie hat noch Zeit. Das erste Weltcuprennen ist am 7. und 8. Dezember. Bis zum Saisonende Ende März 2025 wird sie 16 Rennen absolvieren. Acht im Zweierbob, acht im Monobob. Natürlich will sie wieder möglichst viele Podestplätze holen – und am Ende vielleicht wieder eine Kristallkugel in den Händen halten.
Wie komplex und divers der Bobsport ist, wie viel es für den Erfolg benötigt, vom Material bis zu den Finanzen, das ist den meisten Menschen gar nicht bewusst. Im Gespräch mit Melanie Hasler spürt man es allerdings, wenn sie beispielsweise davon spricht, dass sie sich einen neuen Monobob für 25 000 Franken kaufen musste und dieser nur zu einem Teil von ihrem Club (St. Moritz) mitfinanziert wurde. Finanziell ist es ein Krampf, aber es klappt irgendwie für Hasler, die im Zeitmilitär angestellt ist. «Aber ich achte auch immer gut darauf, dass es auch aufgeht.»
Ebenfalls eine grosse Wissenschaft im Bobsport ist das Material. Deutschland und die USA haben da die Nase vorn – und sind deshalb auch im Vorteil. Doch die Schweiz holt auf, hat ein neues Schlittenprojekt. «Und ich habe das Privileg, dass ich diesen Bob und das neue Material testen darf», sagt Hasler. Möglicherweise kommt der Schlitten schon diese Saison zum Einsatz, «und wir wären dann näher an den Deutschen dran», hofft sie.
Olympia im Fokus
Wer ist in diesem Winter die Anschieberin im Bobteam Hasler? Die 26-Jährige sagt, dass sie als Teamchefin die Qual der Wahl hat. Ein Luxusproblem. Mit Nadja Pasternack, Mara Morell, Muswama Kambundji (Schwester der Leichtathletin Mujinga Kambundji) stehen drei Anschieberinnen zur Auswahl. In den nächsten Wochen will sie sich definitiv festlegen, wer mit ihr den Weltcup bestreitet.
Nun stehen in den nächsten Wochen die Trainingslager in Winterberg, Altenberg und Lillehammer an. So will sie in drei Monaten topfit sein zum Saisonstart. Jetzt schon im Hinterkopf sind die Olympischen Spiele in Italien 2026. Die Piste in Cortina muss zwar erst noch gebaut werden, aber Hasler hat ihren Fahrplan für die nächsten 18 Monate bis zu Olympia schon erstellt. «Planung ist alles», sagt Hasler – die am Arm ein Olympia-Tattoo hat.
Auf die Frage, wie es nach Olympia weitergeht, weiss sie noch keine Antwort. «Ich bin gerne Athletin. Es ist gut möglich, dass ich weitermache», sagt Hasler. «Es kann aber auch sein, dass ich aufhöre.» Hasler vertraut da auf sich selbst. Und auf Gott. «Es kommt alles, wie es kommen muss», erklärt sie. Als sie damals begonnen hat, zu Gott zu beten, hat sie viel mehr erhalten, als sie eigentlich wollte. «Und deshalb habe ich vollstes Vertrauen. Alles kommt gut.»