RÜSSTÜFELI
19.09.2025 Bremgarten, KolumneAus heutiger Sicht ist die Kombination Flachsee / Flusskraftwerk Bremgarten Zufikon eine grosse Erfolgsgeschichte mit vielen Gewinnern ohne wirkliche Verlierer. Doch vor 50 Jahren war das anders. «In Bremgarten herrschte eine richtig grosse Wut», erzählte der ...
Aus heutiger Sicht ist die Kombination Flachsee / Flusskraftwerk Bremgarten Zufikon eine grosse Erfolgsgeschichte mit vielen Gewinnern ohne wirkliche Verlierer. Doch vor 50 Jahren war das anders. «In Bremgarten herrschte eine richtig grosse Wut», erzählte der Einheimische Alfred Koch anlässlich des grossen Jubiläums beim Kraftwerk, an dem er ebenfalls zugegen war. Man habe sich vom Kanton bevormundet und um den «Zopfbau» betrogen gefühlt. Eine damals beliebte Reussschlaufe, die den Einheimischen als Naherholungsgebiet und beliebter Fischgrund diente. Auch der spätere Stadtrat Koch war damals Hobbyfischer und ein vehementer Gegner des Projekts – wenn er auch nicht unter denjenigen gewesen sei, welche die Beamten aus Aarau mit Axt und laufenden Kettensägen begrüssten, wie er schmunzelnd festhält. Kochs Widerstand war ungleich salonfähiger – und bewirkte letztlich vor Bundesgericht, dass die Rodungen in Bremgarten gestoppt wurden, welche die AEW zum erleichterten Zugang zur Baustelle initiiert hatte. Den Flachsee und das Stauwerk konnten Koch und seine damaligen Mitstreiter indes nicht verhindern. Ein Umstand, um den der 89-Jährige heute froh ist. Und auch mit dem Kanton und der AEW hat er sich versöhnt. «Während ich zur Eröffnungsfeier explizit nicht eingeladen war, bin ich heute Ehrengast», schmunzelte er vergnügt.
Die sogenannte Energiewende – also die Versorgung der Schweiz ohne Fossil- und Atomstrom – scheint momentan in weiter Ferne. Initiiert wird dafür zu wenig und das was geplant ist, wird oftmals durch Einsprachen behindert (bspw. Windparks). Um jene Krux ging es auch am grossen Politpodium am Rande der Feierlichkeiten der AEW. Lösungen hatte indes kein Teilnehmer in petto. Einig war man sich lediglich von Naturschutzorganisationen bis hin zu Wirtschaftsverbänden, dass eine Lösungsfindung nur gemeinsam gelingen kann. Adrian Fahrni, der kantonale Leiter der Abteilung Energie (im Bild), hatte zudem ein Mut machendes Beispiel dabei. «Wer hätte denn vor ein paar Monaten gedacht, dass unsere Stauseen Flamingos anziehen?», gluckste er vergnügt. Tatsächlich hatte sich in jenen Tagen eine Gruppe von 20 Jungtieren in Klingnau niedergelassen. «Vermutlich haben sie sich verflogen – aber das Beste daraus gemacht.» Die Energiebranche könne sich jene jungen, unbedarften Vögel als Vorbild nehmen für Wagemut und Out-of-the-box-Denken, fand Fahrni. Man darf in den kommenden Jahren also gespannt auf den verblüffenden Flamingo-Effekt warten, der unsere Stromprobleme löst.
Während das Kraftwerk so sein 50-Jahr-Jubiläum feierte, verweilt ein anderer Zeitgenosse schon viel länger in Bremgarten. Der werte Schutzpatron Synesius ist mittlerweile seit 372 Jahren im Städtli beigesetzt. Wobei es beim Augenheiligen nicht weither ist mit der Totenruhe. Werden doch dessen Gebeine alljährlich einmal hervorgekramt, ausgestellt und zum Segnen benutzt. Was für die einen ein schönes, traditionelles Ritual ist, mutet für andere etwas makaber an. Doch solange dank solcherlei tatsächlich Augen geheilt werden und sinnstiftende Dinge wie das «Projekt Synesius» entstehen, soll das nur so bleiben, findet das Rüsstüfeli. Der Zweck heiligt schliesslich die Mittel.
Marco Huwyler