«Einen Versuch ist es wert»
15.07.2025 Mutschellen, KircheInterview mit Manuel Keller, Vermittler Wegbegleitung und Sozialdiakon reformierte Kirche Mutschellen
Die Anforderungen im Alltag werden immer komplexer und längst nicht jeder Mensch verfügt über ein gutes soziales Netz, um alltägliche Probleme zu ...
Interview mit Manuel Keller, Vermittler Wegbegleitung und Sozialdiakon reformierte Kirche Mutschellen
Die Anforderungen im Alltag werden immer komplexer und längst nicht jeder Mensch verfügt über ein gutes soziales Netz, um alltägliche Probleme zu bewältigen. Hilfe bietet die Wegbegleitung der reformierten Kirche Bremgarten-Mutschellen und des KRSD (kirchlicher regionaler Sozialdienst der katholischen Kirche). Die Vermittlungsstelle leitet Manuel Keller von der reformierten Kirche zusammen mit Karen Hug vom KRSD.
Sabrina Salm
Wie sieht die Hilfestellung bei Wegbegleitung genau aus?
Manuel Keller: Bei der Dienstleistung wird von freiwilligen Wegbegleiterinnen und -begleitern kostenlose Unterstützung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die sie nicht mehr alleine bewältigen können, geboten. Jeder Einsatz ist dabei anders: von administrativer Unterstützung bis hin zu Besuchen und Begleitungen.
Was sind die Hauptgründe, warum Menschen Wegbegleitung suchen?
Die Gründe sind vielfältig. Oft suchen Menschen Unterstützung bei der Alltagsbewältigung.
Seit vor sieben Jahren auch die Region Bremgarten, Reusstal, Wohlen und Mutschellen dieses Angebot anbietet, sind Sie der Vermittlungsleiter hier. Was ist Ihre Rolle als Vermittler?
Meine Hauptaufgabe ist es, Menschen, die Unterstützung suchen, mit ehrenamtlichen Wegbegleitern zusammenzubringen. Ich nehme Anfragen entgegen, kläre den Bedarf, suche passende Wegbegleiter und koordiniere die ersten Treffen.
Wie finden Sie die passenden Wegbegleiter für die Ratsuchenden?
Wir haben einen Pool an ehrenamtlichen Helfern, die unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen mitbringen. Wir führen Vorgespräche mit den Interessenten und versuchen, die Begleitung so passgenau wie möglich zu gestalten. Dabei spielen die gegenseitigen Erwartungen und die Chemie eine wichtige Rolle. Manchmal kommt es vor, dass die Fälle die Kompetenzen der Freiwilligen übersteigen. Dann werden die Klienten an die Fachstellen weitervermittelt. Mit diesen arbeiten wir gut zusammen.
Gibt es bestimmte Voraussetzungen, die Wegbegleiter mitbringen müssen?
Wir suchen Menschen, die zuverlässig, einfühlsam und belastbar sind. Wichtig ist auch, dass sie sich auf die individuellen Bedürfnisse der Ratsuchenden einlassen können und bereit sind, Zeit zu investieren. Jeder Wegbegleiter besucht zu Beginn einen Einführungskurs an drei Abenden. Zudem stehen zwei Weiterbildungen pro Jahr zur Verfügung.
Wie lange dauert eine Wegbegleitung in der Regel?
Die Begleitung ist befristet. Ein Rahmen wird festgelegt, das Ziel und die Dauer definiert. Im Schnitt dauert die Wegbegleitung ein halbes Jahr bis zwei Jahre. Nach drei Monaten gibt es ein Standortgespräch.
Wie sieht es bei den freiwilligen Wegbegleitern aus – sind die Menschen aus der Region bereit zu helfen?
Die Rekrutierung neuer Helfenden ist nicht einfach. Als wir starteten, hatten wir sehr viele Freiwillige, zwischen 15 und 20 Personen. Die ersten zwei Jahre sogar mehr, als es Nachfrage gab. Mit der Zeit wurde es ausgeglichen und seit etwa zwei Jahren haben wir Mühe, Freiwillige zu finden. Zurzeit zählen wir zwischen 10 und 15 Personen. So kommt es leider dazu, dass wir manchmal Anfragen ablehnen müssen. Daher ist die Tendenz von Einsätzen rückläufig.
Woran könnte Rücklauf an Einsätzen liegen?
Viele trauen es sich nicht zu. Wobei durchaus viele Einsätze gehen. Ich schaue ja auch darauf, dass die Freiwilligen nicht überfordert werden. Wir bieten den Wegbegleitern einen Schutz.
Es gibt einfachere und auch komplexere Fälle. Es ist schade, dass es viele Leute abschreckt. Grundsätzlich nimmt die Freiwilligenarbeit ab. Oft möchten sich Menschen nur punktuellen Projekten widmen. Von der Wegbegleitung hat man ein falsches Bild. Dabei ist man sehr frei zu entscheiden, ob man den Fall möchte oder nicht, und kann flexibel agieren. Respekt vor der Herausforderung ist vielleicht der Grund oder ein zu kleiner Bekanntheitsgrad.
Ohne ehrenamtliche Begleitende keine Wegbegleitung mehr. Ist dem so?
Wenn wir keine Freiwilligen mehr haben, dann haben wir ein Problem. Anfragen zu erfüllen, wird dann schwierig. Und wenn man den Hilfesuchenden immer Nein sagt, wird auch hier die Nachfrage schwinden. Aber wir setzen alles daran, dass dieses Szenario nicht eintrifft.
Sie sind also felsenfest vom Angebot überzeugt. Was ist denn das Besondere an der Wegbegleitung?
Das Besondere an unserem Angebot ist die persönliche und individuelle Unterstützung, die auf Augenhöhe stattfindet. Es ist eine Begegnung auf Zeit, die oft zu positiven Veränderungen im Leben der Ratsuchenden und der Wegbegleiter führt – also bei beiden Seiten. Die gemeinsame Zeit und das Erlebte verbindet und schafft neue Perspektiven. Ich finde es eine tolle Sache. Sowohl Hilfesuchende als auch die freiwilligen Wegbegleitenden haben nichts zu verlieren. Einen Versuch ist es allemal wert.
Persönlich
Manuel Keller ist Sozialdiakon in der reformierten Kirche Mutschellen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Diakonie (Asyltreff MUTSCH und Wegbegleitung), im Unterricht (6. bis 8. Klasse) und bei den Freizeitangeboten für Kinder und Familien. Er lebt mit seiner Familie in Fahrwangen. --sab