Astronaut zu Besuch
29.04.2022 MutschellenClaude Nicollier sprach für einen guten Zweck
Dem 77-jährigen Claude Nicollier wurde etwas zuteil, von dem viele nur träumen können: Er durfte auf insgesamt vier Missionen in den Weltraum fliegen. Über 400 Interessierte fanden ihren Weg nach Berikon, um an ...
Claude Nicollier sprach für einen guten Zweck
Dem 77-jährigen Claude Nicollier wurde etwas zuteil, von dem viele nur träumen können: Er durfte auf insgesamt vier Missionen in den Weltraum fliegen. Über 400 Interessierte fanden ihren Weg nach Berikon, um an der Spendenaktion des Kiwanis Club Mutschellen den Astronauten über seine Abenteuer im Weltraum und seine Eindrücke sprechen zu hören. Vor allem die Jüngsten waren von dem hohen Besuch begeistert: Sie strahlten beim gemeinsamen Foto mit ihrem Vorbild um die Wette. --cbl
«Freude herrscht» in Berikon
An der Spendenaktion mit Claude Nicollier kamen rund 20 000 Franken zusammen
Er brachte den Weltraum nach Berikon: Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier gastierte als Referent bei der Spendenaktion des Kiwanis Clubs Mutschellen.
Celeste Blanc
«Freude herrscht, Monsieur Nicollier.» Diese Äusserung ist ein Klassiker, der in die Schweizer Geschichtsbücher eingegangen ist. Es sind die Worte von Alt-Bundesrat Adolf Ogi, der dem Astronauten Claude Nicollier zu seiner ersten und erfolgreichen Mission im Weltraum gratulierte.
Nicolliers erster Aufenthalt im Weltall ist 30 Jahre her. 1992 feierte er seine «Weltraumtaufe» an Bord des Spaceshuttles Atlantis. Ganze acht Tage verbrachte er damals in der Umlaufbahn der Erde. Drei weitere Missionen folgten. Eine unglaubliche Geschichte, die auch heute, drei Jahrzehnte später, Jung und Alt fasziniert. 450 Interessierte fanden ihren Weg ins Berikerhus, wo Nicollier das Publikum mit seiner Leidenschaft für den Weltraum, seinem Know-how und seinen einzigartigen Erzählungen in seinen Bann zog.
Trotz grosser Erfolge bescheiden
«Leider kann ich Sie heute nicht hoch in den Weltraum nehmen. Aber ich versuche, so gut es möglich ist, das Weltall heute für Sie nach Berikon zu holen», führt der sympathische 77-Jährige in den Abend ein. Mit Witz und Charme nahm Nicollier die Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine kleine Weltraum-Odyssee mit. Er sprach über die Faszination des Weltraums, die den Menschen schon seit Jahrhunderten prägt, über die enorme Entwicklung, die die Raumfahrt seit Ende der 1950er-Jahre durchlaufen hat, und über seinen eigenen einmaligen Werdegang.
Nicollier war zuerst Militärpilot bei der Schweizer Luftwaffe, bevor er Physik und Astrophysik in Lausanne und Genf studierte. Später arbeitete er als Astronom an der Sternwarte in Genf und am Gornergrat, bis er zur Europäischen Weltraumorganisation ESA wechselte.
«Wenigen Menschen ist es bestimmt, etwas so Einzigartiges zu erleben. Dass ich in den Weltraum durfte, ist schlicht und einfach eine grosse Ehre.» Demütig spricht Claude Nicollier über das Glück, vor knapp fünf Jahrzehnten in die erste Astronautengruppe der ESA gewählt worden zu sein und mit der Nasa insgesamt vier Spaceshuttle-Missionen durchgeführt zu haben. Nebst harter Arbeit und viel Fleiss habe es ihm vor allem eine «Riesenportion Glück» möglich gemacht, ins All zu fliegen. «Es hat so viele talentierte Mitarbeiter bei der Nasa. Und einige waren sicher talentierter als ich», meint er bescheiden.
Die Schönheit des Weltalls
Mit beeindruckenden Bildern und Videos liess Nicollier die Zuhörerinnen und Zuhörer an seinen einmaligen Erfahrungen teilhaben. So erzählte er unter anderem, wie es sich anfühlt, drei Stunden vor Abflug das Spaceshuttle zu besteigen. Oder wie es ist, auf der «Decke» des Cockpits zu stehen, weil plötzlich die Schwerelosigkeit einsetzt.
Hat man als Raumfahrer dann einmal die Sphären dieser Welt verlassen, eröffnen sich unzählige schöne Blicke in die unendlichen Weiten des Weltalls. Ein ganz spezieller sei, wenn man vom Spaceshuttle auf die Erde blickt, bevor die Sonne aufgeht. «Über der Erdkrümmung erstreckt sich für einen ganz kurzen Augenblick ein sehr heller Streifen», so Nicollier. Oder wenn man in der Umlaufbahn in den Schatten der Erde eintritt und über die Welt bei Nacht fliegt. Wegen der Dunkelheit sehe man dann während einer halben Stunde die Milliarden von Sternen vor sich. «Eine fantastische Aussicht.»
Gänsehaut schlich sich ein, als Nicollier vom Planeten Erde erzählte. Klein und zerbrechlich wirke er in der Leere des Kosmos. «Die Erde ist einfach wunderschön. Es macht einen ehrfürchtig und man ist sich der Einmaligkeit dieses blauen Planeten bewusst.» Es führe einem vor Augen, wie einzigartig die Welt sei und wie dringend notwendig es ist, ihr Sorge zu tragen.
«Scheitern keine Option»
Nicollier war bei zwei seiner insgesamt vier Missionen für Wartungsarbeiten des «Hubble»-Teleskops im Einsatz. 1990 in den Weltraum geschickt, musste das Teleskop bereits dreieinhalb Jahre nach seinem Ersteinsatz repariert werden. Es sei eine wichtige Mission gewesen, bei der die optische Linse und die Sonnensegel ersetzt werden mussten. «Die Mission war enorm wichtig. Wir standen unter grossem Druck», erzählt Nicollier. «Die Nasa kommunizierte klar, dass Scheitern keine Option sei.» Nicollier und sein Team trainierten während Monaten hart für diesen Einsatz. Jeder Schritt musste genaustens sitzen, damit die Mission in über 600 Kilometern Höhe auch gelingt. Claude Nicollier war es, der mit den Aussenarmen am Spaceshuttle das «Hubble»-Teleskop für die Wartungsarbeiten einfangen musste. «Die Spannung dieses Moments werde ich nie vergessen.» Und auch nicht die Erleichterung, als man die Mission beendet hatte. Dabei ist der wohl wichtigste Moment in Nicolliers Astronautenleben, als im amerikanischen Fernsehen verkündet wurde, dass die Mission erfolgreich war. «Bis dahin wussten wir nicht, ob unser Einsatz erfolgreich war.» 1999 folgte ein weiteres Highlight: Nicollier machte seinen ersten Weltraumspaziergang.
Wichtigkeit privater Firmen
Nicollier, der heute einen Lehrstuhl für Astrophysik an der ETH Lausanne innehat, beratend bei der Jetbeschaffung von Verteidigungsministerin Viola Amherd fungiert und aktiv beim Artemis-Programm mitarbeitet, folgt gespannt den neusten Entwicklungen in der Raumfahrt. Dass heute private Firmen wie SpaceX mit den Weltraumbehörden zusammenarbeiten, sei für die Raumfahrt ein grosser Vorteil. «Da die privaten Unternehmen die Transporte übernehmen, können sich die Weltraumbehörden auf ihren eigentlichen Auftrag konzentrieren: die Exploration des Weltraums», erläutert der Astronaut. Zudem können dank den Innovationen von SpaceX heute Raketenmotoren für weitere Missionen wiederverwertet werden. «Das ist ein enormer Fortschritt.»
An eine bemannte Weltraumexploration, die über das Sonnensystem hinausgeht, glaubt er jedoch nicht. «Vielleicht in 500 bis 1000 Jahren. Aber heute ist Elon Musk der Einzige, der an solche Unterfangen glaubt», lacht er. Zuerst stehen noch andere Visionen an, wie beispielsweise der Bau einer fixen Raumstation am Südpol des Mondes. Und erst später wird eine Mission zum Mars folgen. «Aber das sind Dinge, die die Jüngsten hier im Saal miterleben werden.»