Die Meister-Macherin
01.02.2022 SportDie Murianerin Annick Kohler hat das Quartett von «Swiss Raw» während dreieinhalb Jahren im Rudern trainiert. Als sie zu ihr ins Training kamen, sassen sie vorher noch nie in einem Ruderboot. Weil sie es geschafft hat, die vier Männer zu Siegern im härtesten Ruderrennen ...
Die Murianerin Annick Kohler hat das Quartett von «Swiss Raw» während dreieinhalb Jahren im Rudern trainiert. Als sie zu ihr ins Training kamen, sassen sie vorher noch nie in einem Ruderboot. Weil sie es geschafft hat, die vier Männer zu Siegern im härtesten Ruderrennen der Welt zu formen, wurde Kohler zum Kopf des Monats Januar gewählt. --jl
Einfühlsamer «Drill-Sergeant»
Annick Kohler aus Muri ist Kopf des Monats Januar
Die vier Ruderer vom Team «Swiss Raw» haben die Talisker Whisky Atlantic Challenge gewonnen. Grossen Anteil an ihrem Erfolg hat die Murianerin Annick Kohler. Sie hat das Quartett trainiert. Innerhalb von dreieinhalb Jahren hat sie aus jungen Männern, die nie zuvor gerudert haben, Sieger des härtesten Rennens der Welt geformt.
Josip Lasic
Es war eine Sensation, die quer durch die Schweizer Medienlandschaft ging. Swiss Raw, das Team vom Ruderclub Hallwilersee, hat als erste Mannschaft aus einem Binnenland die Talisker Whisky Atlantic Challenge gewonnen. In erster Linie wurde dabei von den vier jungen Männern Ingvar Groza, Samuel Widmer, Roman Möckli und Jan Hurni berichtet. Sie waren diejenigen, die von La Gomera auf den Kanarischen Inseln nach Antigua und Barbuda gerudert sind. Etwas untergegangen dabei ist das Murianer Paar Yves Neupert und Annick Kohler, die als Teammanager und Trainerin ebenfalls sehr viel Arbeit in das Projekt investiert haben und eine wichtige Rolle beim Sieg von Swiss Raw spielen.
Neupert hatte als Ansprechpartner der Medien etwas mehr «Rampenlicht» als die Trainerin Annick Kohler. «Ich wurde mit der Frage hochgenommen, ob ich denn wisse, wer der Trainer von Muhammed Ali war», sagt Neupert. «Klar stehen die Sportler stärker im Fokus. Aber die Leute im Hintergrund müssen ebenfalls einiges leisten.»
Hart, fordernd und gleichzeitig menschlich
Aus Neuperts Sicht war Annick Kohler die ideale Trainerin für die vier jungen Männer. «Sie hat schon an sich selbst sehr hohe Erwartungen. Egal ob sportlich oder privat – Annick versucht immer das Beste zu geben und rauszuholen, ist zielstrebig und fokussiert.» Ohne diese Fähigkeiten hätte die mehrfache Schweizer Meisterin kaum ihre zahlreichen Titel und Medaillen gewonnen. «So knallhart sie zu sich selbst ist, so knallhart kann sie auch zu anderen als Trainerin sein», erklärt der Partner der 43-Jährigen. «Sie wurde von einem Ruderer aus der DDR ausgebildet. Die Trainings waren brutal. Und so können sie auch bei ihr sein. Manchmal ist sie ein regelrechter ‹Drill-Sergeant›. Der positive Unterschied bei ihr ist, dass sie enorm viel Einfühlungsvermögen hat. Ihre Herangehensweise ist viel menschlicher. Sie spürt, was jemand im Training braucht, und kann individuell darauf eingehen.»
Wie viel Einfühlungsvermögen in der Murianerin steckt, hat man an den Sorgen gemerkt, die sie sich um die vier jungen Männer gemacht hat. Schon ein Jahr vor dem Start hat sie betont, dass das Team zur Familie gehört und der Gedanke, dass vielleicht nicht alle vier vom gefährlichen Rennen über den Atlantik zurückkommen, sehr schwierig für sie ist. Neupert: «Drei der Elternpaare der Jungs haben sich bei uns bedankt, weil wir während des Projekts eine Art Elternrolle für ihre Söhne übernommen haben. Ich glaube auch, dass das Annicks Erfolgsrezept ist. Dieser Mix aus Ehrgeiz und Einfühlsamkeit.»
Hat das Team ernst genommen
Dieser Einschätzung schliesst sich auch Samuel Widmer an. Der 27-jährige Döttinger ist der einzige Aargauer im Team von Swiss Raw. «Wir haben Annick und Yves enorm ins Herz geschlossen. Ich glaube, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Insofern verstehe ich es, dass sie sich Sorgen gemacht hat und so in eine Mutterrolle geschlüpft ist», sagt der Polizist. «Auf der menschlichen Ebene zeichnet sie aber noch viel mehr aus. Unser Ziel war von Anfang an der Sieg. Und das, obwohl wir nicht rudern konnten. Wir wurden von vielen Seiten belächelt. Nicht so von Yves und Annick. Sie haben uns ernst genommen und dem Projekt eine Chance gegeben. Dass sie, bevor wir gestartet sind, noch nach La Gomera geflogen sind als mentale Unterstützung, hat uns enorm viel bedeutet.»
Widmer betont auch, wie flexibel die Freiämterin war. Da die vier Teammitglieder von Swiss Raw aus den unterschiedlichsten Ecken der Schweiz kommen, war es nicht immer einfach, Termine für das Rudertraining zu finden. «Da war Annick extrem hilfsbereit und flexibel und hat versucht, es uns allen recht zu machen.»
Dass die Trainings mit ihr nicht immer einfach waren, bestätigt Widmer ebenfalls. «Wenn es um die Rudertechnik ging, war sie schon sehr pingelig. Die Ausführung musste perfekt sein. Ich denke aber, dass das notwendig war. Und ja, manchmal sagen Taten mehr als Worte. Sie hat uns das Rudern beigebracht, wir haben das Ruderrennen gewonnen. Muss man noch mehr dazu sagen, wie gut sie es gemacht hat?»
An den Start gehen, um zu siegen
Julia Gisler ist seit 2019 die Ruderpartnerin von Annick Kohler. Sie ist überzeugt davon, dass sie als Trainerin perfekt zum Team passt. «Sie haben eine ähnliche Mentalität. Das Team wollte unbedingt gewinnen. Damit waren sie bei Annick an der richtigen Adresse. Sie ist ehrgeizig, sehr ehrgeizig. Bei ihr ist klar, wenn wir an den Start gehen, dann nicht nur, um teilzunehmen. Wir gehen an den Start, um zu gewinnen.»
Gisler will ihre Ruderpartnerin aber nicht allein auf den Sport reduzieren. «Sie ist ein sehr direkter Mensch, hat eine klare Linie. Gleichzeitig ist sie aber enorm humorvoll und einfühlsam. Und beim Training geht es ihr auch nicht in jeder Sekunde nur um den Sport. Wenn das Wetter schön ist und die Kulisse auch, ist sie auch dafür, einfach kurz mal anzuhalten und ein Foto zu schiessen.»
Dem Verein eine neue Welt eröffnet
Grosse Freude herrscht bei Felix Achermann, dem Präsidenten des Ruderclubs Hallwilersee. Der Sieg von Swiss Raw war eine sehr gute Werbung für seinen Verein. Doch Achermann freut sich in erster Linie für das Team und für Annick Kohler. Die Murianerin ist als Ruderchefin ebenfalls Teil der Vereinsvorstands. «Sie arbeitet als Sportlerin und im Vorstand genau gleich akribisch und ist so enorm wichtig für den Verein. Der Posten der Ruderchefin ist ein Knochenjob. Sie muss verschiedene Menschen zusammenführen können. Solche, für die Rudern ein Leistungssport ist, genauso wie solche, die übertrieben gesagt nur ein wenig die Schwäne beobachten wollen. Aber Annick hat ein gutes Gespür, um die Ansprüche verschiedener Vereinsmitglieder zusammenzubringen.»
Achermann betont, dass der Verein dem Team die Plattform geliefert hat und versucht hat, gewisse Mittel für das Projekt zu ermöglichen. In erster Linie habe aber Kohler die Verantwortung für das Ganze übernommen. «Im Verein war auch eine gewisse Skepsis da zu Beginn. Vor allem nach den ersten Ruderversuchen des Teams», so der Club-Präsident. «Es ist aber unglaublich, was sie für Fortschritte gemacht haben. Das liegt zu einem grossen Teil an Annick. Sie fordert viel, schafft es aber gleichzeitig auch, den Leuten die kleinen Fortschritte als Erfolge zu vermitteln, um sie so zu motivieren. Und sie ist enorm engagiert. Eine fantastische Frau.» Der Vereinspräsident ist auch dankbar. «Sie hat mit dem Projekt dem Verein viel gegeben. Rudern ist vielfältig», erklärt Achermann. «Mit dem Atlantikrudern hat sich unserem Verein eine ganz neue Welt eröffnet.»