Besondere Momente: Gespräch mit Margrith Keller, Kirchenchorlegende (3. September)
Celeste Blanc
Bin ich ein Vereinsmensch? Eine Frage, die ich irgendwie nicht so richtig beantworten kann. Früher sicher. Ich spielte jahrelang Fussball in ...
Besondere Momente: Gespräch mit Margrith Keller, Kirchenchorlegende (3. September)
Celeste Blanc
Bin ich ein Vereinsmensch? Eine Frage, die ich irgendwie nicht so richtig beantworten kann. Früher sicher. Ich spielte jahrelang Fussball in Wohlen und Villmergen. Dann kam das Studium, die Arbeit – und die Freizeit wurde knapper, das Vereinsleben rarer. Deshalb stach mir die Verabschiedung von Margrith Keller beim Redigieren des GV-Berichts des Kirchenchors Berikon sofort ins Auge. Ganze 71 Jahre lang sang sie im Kirchenchor, heute ist sie 89. Also fast ein ganzes Leben.
Ich suchte den Kontakt zu ihr. Schon das war speziell für mich. Damals hatte ich erst gerade in der Redaktion Bremgarten meinen Einstand gefeiert und das war die erste Geschichte, die aus meiner Feder kam. Der erste Kontakt verlief über die Präsidentin des Kirchenchors, Sara Stecher. Sie freute sich sehr über die Idee und meinte: «Das Chormüetti wird sicher dabei sein.» So erhielt ich den Kontakt von Margrith Keller, die zunächst nicht ganz so überzeugt zu sein schien. «Was habe ich denn schon zu erzählen?», fragte sie lachend am Telefon. «Aber wenn Sie meinen, dass es etwas für die Zeitung wäre, dürfen Sie gerne vorbeikommen.»
Und so wurde ich an einem grauen, aber warmen Freitagmorgen im August von Margrith Keller in ihrem gemütlichen Zuhause begrüsst. Sie ist eine feine, zierliche Frau, die unentwegt strahlt. Und obwohl sie am Telefon gemeint hatte, sie könne nichts von Interesse erzählen, hatte sie die eine oder andere interessante Geschichte in petto. Beispielsweise, wie sie hautnah miterlebte, wie die Gottesdienstdurchführungen sich veränderten. Zuerst sang sie jeden Sonntag auf Latein. Dann entschied das grosse Vatikanische Konzil in den 1960er-Jahren, dass die Zeremonien den Laien zugänglicher gemacht werden sollen. Fortan wurde der Gottesdienst in der Muttersprache gehalten. Oder wie es sich verändert hat, dass auch verheiratete Frauen Anfang der 60er-Jahre im Kirchenchor weiterhin mitsangen. «Normalerweise verliessen die Frauen das Dorf, wenn sie heirateten», erzählte Keller. Als dann die erste Frau trotz Wegzug weiter mitsingen wollte, war das der Anfang einer grossen Veränderung für den Chor. Oder wie der Chor in Berikon immer kleiner wurde.
In diesen sieben Jahrzehnten war Margrith Keller die Konstante. Ihre Treue dem Chor gegenüber ist für andere etwas Einzigartiges. Für die bescheidene Frau, die von den Mitgliedern des Kirchenchors liebevoll «Chormüetti» genannt wird, ist sie aber selbstverständlich. Es war für sie stets eine «Lebensaufgabe», wie sie es bezeichnete. Und sie schöpfte Kraft aus den jahrelangen Freundschaften. Für mich als jungen Menschen war dieses Gespräch insofern beeindruckend, als es einmal mehr vor Augen führte, was wirklich zählt im Leben: etwas zu finden, wofür das Herz schlägt. Etwas zu finden, in dem man aufgeht und sich wohlfühlt. Dieses Gespräch hat mich für einige Tage begleitet. Und dann rückte es in den Hintergrund – neue Geschichten nahmen den Platz im Redaktionsalltag ein. Dennoch hallt dieses Treffen nach wie vor in mir nach, denn seither bin ich auf der Suche nach etwas, das mich so zu begeistern vermag, wie es der Kirchenchor bei Margrith Keller tat. Auch wenn ich vermutlich die 71 Jahre konstantes Vereinsleben nicht mehr schaffen werde.