Aus nach 134 Jahren
30.11.2021 BremgartenDer Frauechilechor unter Dirigent Enrico Fischer löst sich auf
Dirigent Enrico Fischer tritt altershalber kürzer. Mit seinem Abgang nach 40 Jahren Chorleitung ist auch für den Frauechilechor Bremgarten Schluss.
Marco ...
Der Frauechilechor unter Dirigent Enrico Fischer löst sich auf
Dirigent Enrico Fischer tritt altershalber kürzer. Mit seinem Abgang nach 40 Jahren Chorleitung ist auch für den Frauechilechor Bremgarten Schluss.
Marco Huwyler
1887 wurde der «Evangelisch reformierte Kirchengesangsverein Bremgarten» gegründet. Ein gemischter Chor mit 51 Mitgliedern. 134 Jahre später heisst der Verein «Frauechilechor» und besteht aus zehn Frauen und ihrem Dirigenten. Noch – denn dieser sieht mit seinen 71 Jahren die Zeit gekommen, um kürzerzutreten, was die übrigen Mitglieder zum Anlass nehmen, ihren Chor ganz aufzulösen.
Mit dem Adventskonzert vom 12. Dezember präsentieren sie sich ein letztes Mal einer breiten Öffentlichkeit. Der Auftritt gemeinsam mit dem Kirchenchor Reinach ist seit 27 Jahren ein musikalisches Highlight in Bremgarten und geniesst unter Musikliebhabern in der Region einen hervorragenden Ruf. Nun wird das Adventskonzert in der Bremgarter Stadtkirche gleichzeitig zu einem doppelten Abschiedskonzert. Wie der Frauechilechor löst sich auch der Kirchenchor Reinach mit dem Rücktritt seines Dirigenten auf.
Über Jahrzehnte entwickelt
Enrico Fischer war 40 Jahre lang in Bremgarten tätig. Nach Beendigung seines Musikstudiums wurde er 1977 als Chorleiter des reformierten Kirchenchors eingestellt und blieb dem Städtli mit Ausnahme eines vierjährigen Unterbruchs seither treu. Unter seiner Leitung entwickelte sich der
Kirchenchor zu einem qualitativ hochstehenden Ensemble, das weit über die Stadtgrenzen hinaus einen guten Ruf geniesst. 2003 beschloss man, aus dem einst gemischten Chor einen reinen Frauenchor zu machen. Viele der heutigen Sängerinnen waren schon damals dabei. So konnte in Bremgarten über die Jahre ein Ensemble reifen, das sich ausgezeichnet versteht und gemeinsam ein Repertoire von über 100 Liedern be-
herrscht. Dank dieses aussergewöhnlichen Chors wurden Kirchenbesuche in Bremgarten zuweilen zu einem unvergesslichen Erlebnis.
«Meine Frauen sind was Besonderes»
Enrico Fischer tritt ab – und mit ihm auch der Bremgarter Frauechilechor
40 Jahre lang hatte Enrico Fischer den Kirchenchor in Bremgarten geleitet und eine musikalische Ära im Städtli geprägt, die nun zu Ende geht. Mit dem letzten Adventskonzert in der Stadtkirche verabschiedet er sich.
Marco Huwyler
Von schwermütigem Lebewohl ist bei Enrico Fischer nicht viel zu spüren. Der 71-Jährige sprüht regelrecht vor Tatendrang und Lebensfreude. Er referiert und philosophiert humorvoll, leidenschaftlich und gestenreich über Erlebtes, Musik, Wirken und die Annehmlichkeiten des Lebens. Zu keiner Zeit hat man das Gefühl, hier einen Mann vor sich zu haben, der in Bälde kürzertreten will. Und doch ist der eigentliche Anlass ein Abschied. Der Dirigent gibt die Leitung von gleich zwei Chören auf, die sich mit seinem Abgang auflösen. Der Kirchenchor Reinach und der Frauechilechor Bremgarten.
«Ich finde das unglaublich schade», seufzt Fischer. «Nur weil ich gehe, müssten doch nicht gleich alle aufhören.» Offensichtlich war aber Fischer mehr als ein Dirigent für seine Chöre. Er war deren Herz und Seele, sodass man zum Schluss kam, dass es ohne ihn nicht weitergeht.
Musizieren verbindet
In Bremgarten hatte er einst vor 18 Jahren eine einschneidende Änderung initiiert. Der gemischte Bremgarter Kirchenchor wurde 2003 in einen reinen Frauenchor umgewandelt. «Das war ein guter Entscheid», sagt Fischer heute. «Mit den Frauen kann ich auch anspruchsvolle Literatur umsetzen. Sie sind geduldiger und offener als Männer», lacht er. Natürlich habe auch das seit jeher herrschende Missverhältnis der Anzahl Männer und Frauen eine Rolle gespielt. «Aus irgendeinem Grund singen Frauen im Allgemeinen lieber und ungehemmter.»
Das finde er bedauerlich. «Denn Singen ist etwas so Wunderbares für die Seele.» Dass er in der schnelllebigen Gesellschaft generell eine Tendenz zu weniger Interesse an gemeinsamer Musik und Chormitgliedschaft wahrnehme, betrübt den Dirigenten. «Singen gibt einem so viel. Es befreit und macht glücklich. Schade, dass sich viele junge Menschen heutzutage gar nicht mehr die Chance geben, das für sich zu entdecken.» Ausserdem könne ein Chor auch eine soziale Aufgabe wahrnehmen. «Gemeinsames Musizieren integriert und verbindet.» Dies trifft ganz besonders auch für den Frauechilechor Bremgarten zu. Die zehn Frauen und ihr Dirigent bilden eine verschworene Gruppe, die sich auch privat bestens versteht. «Wir sind alle Freunde, die sich kennen und schätzen», schwärmt Fischer von «seinen» Frauen. «Das macht es auch leichter für mich aufzuhören. Denn ich bin mir sicher, dass die Kontakte nicht abreissen werden.» So wird beispielsweise auch nächstes Jahr wieder eine Chorreise stattfinden.
Nicht jede wird genommen
Dass man sich gegenseitig gut kennt und schätzt, macht sich auch musikalisch bemerkbar. «Jedes Mitglied kennt die Stärken und Schwächen des anderen, sodass Erstere optimal zum Tragen kommen und Letztere nicht ins Gewicht fallen.» So, und dank dem Ehrgeiz ihres Dirigenten hat der Frauechilechor mit der Zeit einen Qualitätsstandard erreicht, der nicht ohne Weiteres zu matchen ist und deshalb zuweilen auch Interessentinnen den «Zutritt» zum exklusiven Bremgarter Gesangs-Zirkel verwehren liess. «Wir hatten einige, die bei uns mitmachen wollten, denen es aber gesanglich nicht reichte», erzählt Fischer. «Meine Frauen sind auch stimmlich etwas Besonderes», meint er stolz. Dies führte dazu, dass manch ein Kirchenbesucher in den letzten Jahren überrascht und entzückt ob der Reinheit und Qualität der darbietenden Stimmen war – und deshalb auch gerne wiedergekommen ist. «Gottesdienste mit uns als Bestandteil waren immer gut besucht – und zwar nicht unbedingt wegen dem Pfarrer und seinen Predigten», berichtet Fischer unbescheiden und lacht dabei schallend.
Jahreshöhepunkt ist seit vielen Jahren das gemeinsame Adventskonzert mit dem Kirchenchor Reinach in der Bremgarter Stadtkirche. Am Sonntag, 12. Dezember 2021 findet dieses zum letzten Mal statt. Fischer ist sich sicher, dass die Kirche auch dieses Mal «tätschvoll» sein wird – wenn Corona dies denn zulässt. «Im Laufe der Jahre wurde das Interesse an diesem Konzert sukzessive immer grösser – Wir haben uns einen Ruf aufgebaut. Das ist sehr schön zu sehen.»
Kein leiser Abgang
Doch weshalb soll denn 2021 Schluss mit all dieser Herrlichkeit sein? «Ich brauche einfach mehr Zeit für mich und die Freiheit, ungebunden zu sein», seufzt Fischer. Etwa wolle er mehr Zeit in Venedig verbringen, wo sich der Pensionär eine Zweitwohnung gekauft hat. «Für mich als Künstler, Dirigent, Musiker und Komponist ist das die schönste Stadt der Welt», schwärmt er. Eigentlich habe er bereits letztes Jahr in Reinach und Bremgarten aufhören wollen. «Doch so still und leise in dieser Corona-Misere – Das ist doch kein Ende.» Deshalb hofft er nun, dieses Jahr seine 40-jährige Tätigkeit im Städtli an der Reuss auch würdig beschliessen zu können. «Die Messe von Otto Nicolai ist ein schönes Schlussbouquet. Mit Pauken und Trompeten – wie sichs gehört», lacht er.
Ganz aufhören werden Fischer und sein Frauechilechor am 12. Dezember aber noch nicht. Für die «Fans» der zehn Frauen und ihrem Dirigenten wird im kommenden Frühling noch ein Repertoire-Konzert stattfinden. Und auch darüber hinaus lässt sich der 71-Jährige noch ein Türchen offen. «Ich kann nicht ausschliessen, dass mich die Sehnsucht nach meinen Bremgarterinnen befällt und ich im nächsten Advent wieder versuche, etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen», meint er verschmitzt. Enrico Fischer und Ruhestand passen halt tatsächlich nicht besonders gut zusammen.
Abschiedskonzert Frauechilechor Bremgarten & Kirchenchor Reinach, Stadtkirche, Sonntag, 12. Dezember, 17 Uhr. Eintritt frei, Kollekte, Zertifikatspflicht.