Eine Tomate, viele Tränen
23.04.2021 SportDaphne Gautschi verliert mit der Schweizer Frauen-Nati mit 22:28 gegen Tschechien und reist nicht an die WM
Sensation misslungen, Chance verpasst. Die Schweizer Handballerinnen scheitern in den WM-Play-offs. «Unsere Zeit wird noch kommen», sagt die Murianerin ...
Daphne Gautschi verliert mit der Schweizer Frauen-Nati mit 22:28 gegen Tschechien und reist nicht an die WM
Sensation misslungen, Chance verpasst. Die Schweizer Handballerinnen scheitern in den WM-Play-offs. «Unsere Zeit wird noch kommen», sagt die Murianerin Daphne Gautschi, die nur wenige Stunden nach der Pleite zu Hause in Muri ihre Semesterprüfung abliefert. Während Gautschi enttäuscht ist, sorgt Nati-Trainer Martin Albertsen für unpassende Worte.
Stefan Sprenger
Tränen nach Spielschluss. Daphne Gautschi ist enttäuscht, weint minutenlang, umarmt ihre Mitspielerinnen. Gegenseitig spendet man sich Trost für die verpasste Chance. Gegen den Favoriten Tschechien hat man im Hinspiel überraschend ein 27:27 geholt. Im Heimspiel am Dienstagabend zeigt der Gegner seine Klasse, gewinnt mit 28:22 (14:11). «Tschechien hat enorm Erfahrung und kaum Leistungsschwankungen im Spiel», so die 20-jährige Murianerin. Anders die Schweiz: Nach der Halbzeit erzielt das Team nur ein Tor in zehn Minuten.
Zu wenig, um erstmals an eine Weltmeisterschaft zu reisen. Während Tschechien im Dezember an die WM-Endrunde in Spanien fährt, müssen sich die Schweizerinnen mit der Erkenntnis begnügen, dass sie nahe dran waren und knapp scheiterten. «Die Partie hat uns viel gebracht. Der Druck war gross, es war ein Showdown. Daraus haben wir viel gelernt», meint Gautschi.
Auffällig im Spiel der Tschechinnen: Die gross gewachsene Rückraumspielerin Marketa Jerabkova erzielt 15 Tore, also mehr als die Hälfte des ganzen Teams. Hätte man diese Topspielerin nicht stoppen können mit einer engen Deckung? «Sie erzielte 15 Tore, aber viele davon waren nicht aufgrund ihrer Klasse, sondern weil es gut herausgespielt war. Wenn wir Jerabkova enger gedeckt hätten, so wären mehr Lücken für ihre Mitspielerinnen entstanden», relativiert Daphne Gautschi.
Ebenfalls erwähnenswert ist die tschechische Torfrau Hana Muckova, die total 12 Paraden zeigt und besonders in den entscheidenden Phasen der Partie aufdreht. Dazu meint Gautschi: «Ich fand die Torhüterin nicht so überragend. Wir haben sie warm geschossen und sind selber schuld. Wenn wir unsere 100-prozentigen Chancen nutzen, sieht es am Ende vielleicht anders aus.»
Nati-Trainer kritisiert die Frauen-Schiedsrichter
Die Freiämterin erzielt zwei Tore und muss kurz nach der Halbzeit verletzt raus. Bei einem Zusammenprall kassiert sie über dem Knie eine Tomate. Gautschi wird verarztet, kehrt für einen Angriff nochmals aufs Feld zurück – und verschiesst. «Ich habe dann gemerkt, dass es nichts bringt. Ich war nicht mehr beweglich und explosiv.» Die letzten 20 Minuten muss sie von der Bank aus zusehen und kann dem Team nicht mehr helfen.
Dass es nicht für eine erstmalige WM-Qualifikation reichte, sei «kein Weltuntergang». Tränen flossen bei Gautschi hauptsächlich wegen der Mitspielerinnen Noelle Frey und Simona Cavallari. Die beiden routinierten Spielerinnen hätten bei einer WM-Teilnahme die Karriere fortgesetzt. Die Pleite gegen Tschechien war für die beiden beliebten Spielerinnen gleichzeitig das Karriere-Ende. «Unser Zusammenhalt ist riesig, man kämpft miteinander, man feiert miteinander, man ist traurig miteinander», so Gautschi.
Nationaltrainer Martin Albertsen überrascht nach der Niederlage im Interview mit dem Schweizer Fernsehen mit einer frauen- und schiedsrichterkritischen Aussage, die man von einem Trainer eines Frauenteams so nicht erwartet hätte. Albertsen fährt den beiden Schiedsrichterinnen aus Deutschland frontal an den Karren. «Das Niveau der Schiedsrichter war schlechter als unseres. Das war das Hauptproblem, man wollte die Frauen fördern. Es gäbe viele Männer, die bessere Qualität gehabt hätten. Ich hoffe, dass die irgendwann kommen, denn es ist schade in so einem wichtigen Spiel.» Für Gautschi war die Schiedsrichterleistung «kein Thema». Man sei selbst schuld.
In Muri die Semesterprüfung und ab nach Metz
Einen Tag nach der Niederlage ist Daphne Gautschi immer noch enttäuscht, jedoch schon in einem anderen Film. Am Mittwochmorgen absolvierte sie in ihrem Zuhause in Muri die Semesterprüfung der Universität in Metz. Ihre Eltern chauffierten sie dann zurück nach Frankreich. Am Wochenende steht das nächste Spiel an. «Mal schauen, ob es aufgrund der Oberschenkelprellung wieder geht», meint Gautschi, die im Juni ihre Zelte in Metz abbricht und zu ihrem neuen Verein nach Neckarsulm in die Deutsche Bundesliga zieht.
Gautschi betont, dass man trotz verpasster WM grosse Schritte nach vorne gemacht hat. Das Team hat neun Spielerinnen mit Jahrgang 2000 oder jünger. «Wir sind immer näher dran, unsere Zeit wird kommen.» Man arbeitet auf ein grosses Ziel hin: die EM 2024 im eigenen Land. Das nächste Ziel der Schweizer Nati ist im Herbst. Dann trifft die Schweiz zum Auftakt der EM-Qualifikation zuerst auswärts auf Russland (6./7. Oktober) und zu Hause auf Polen (9./10. Oktober). «Die nächste Chance, Grosses zu schaffen», meint Gautschi.