Annemarie Keusch, Redaktorin.
Eine Scheibe Brot. Ohne Butter, ohne Konfitüre, ohne Nutella, ohne Erdnussbutter oder alles andere, was man so aufs Brot schmieren kann. Ein Glas Wasser, still, ohne Kohlensäure, ohne Sirup, ohne Gurken- oder ...
Annemarie Keusch, Redaktorin.
Eine Scheibe Brot. Ohne Butter, ohne Konfitüre, ohne Nutella, ohne Erdnussbutter oder alles andere, was man so aufs Brot schmieren kann. Ein Glas Wasser, still, ohne Kohlensäure, ohne Sirup, ohne Gurken- oder Zitronenschnitz. Einfach Brot. Einfach Wasser. Lötig. Das Gegenüber lacht. «Was?» Freunde aus Bern sind zu Besuch. Es ist ein wunderbarer Abend. Eigentlich sehen wir uns viel zu selten. Umso mehr schätzen wir diese Stunden. Wir plaudern, über das und jenes. Und landen schliesslich – warum auch immer – beim Thema Wasser. «Im Kühlschrank hat es auch Mineralwasser mit Kohlensäure», sage ich. Er schüttelt den Kopf. «Trinkst du das Wasser lieber lötig?» Der Gesichtsausdruck verräts: Wir haben Verständigungsprobleme.
In jedem Dialekt gibt es Wörter, die für andere Dialekte schwer verständlich sind. Für «Üsserschwiizer» ist das Walliserdeutsch gespickt damit. Als Freiämter macht uns dafür der Zürcher Dialekt weniger Probleme – ihn schön zu finden, wäre eine andere Sache. Aber auch wir Freiämter haben unsere sprachlichen Eigenheiten. Lötig ist ein Beispiel dafür.
Was das Wort bedeutet, ist schnell erklärt. Leer, rein, unvermischt. Schwieriger wirds, als die Frage auftaucht, woher das Wort überhaupt stammt. Wir diskutieren kurz, ohne Lösung, und holen uns die Internet-Suchmaschine zur Hilfe. Die Antwort finden wir schnell. Ein Radiohörer hat in einer Sendung, in der Dialekte im Zentrum stehen, die genau gleiche Frage gestellt. Was bedeutet «lötig»? Dass der Begriff in der Erklärung als Luzerner Ausdruck bezeichnet ist, stört das Freiämter-Herz nur kurz. Schliesslich gibt es kaum Wörter, die nur ein Dialekt für sich gepachtet hat.
Im Idiotikon ist lötig mit «vollwichtig» und «von Edelmetallen» beschrieben. Zuerst wurde das Adjektiv für Edelmetall ge - braucht, um zu beschreiben, dass es rein war. Auch die Masseinheit Lot wird als Ursprung angegeben. Als Adjektiv abgeleitet heisst es «das rechte Gewicht habend». Auch für unbekleidet und nackt könne lötig als Synonym verwendet werden. Oder als Synonym für blöd. «Es ist mir lötig» heisse so viel wie «es ist mir zu blöd». Und auch lötig sein könne man, wenn man einen leeren oder flauen Magen hat. Wenn man zu viel lötigen Schnaps getrunken hat, zum Beispiel. So einfach ist das.