Sprache als Schlüssel
04.12.2020 Region BremgartenDas «café-international» verbindet
Seit 15 Jahren gibt es das «café-international» im Zufikerhuus. Jeden Donnerstagmorgen treffen sich dort Migrantinnen und Migranten, um zusammen mit Freiwilligen Deutsch zu sprechen. Die Sprachniveaus sind sehr ...
Das «café-international» verbindet
Seit 15 Jahren gibt es das «café-international» im Zufikerhuus. Jeden Donnerstagmorgen treffen sich dort Migrantinnen und Migranten, um zusammen mit Freiwilligen Deutsch zu sprechen. Die Sprachniveaus sind sehr unterschiedlich. Einzelne feilen an ihren ersten Worten, andere an der richtigen Grammatik. Im ungezwungenen Umfeld werden auch kulturelle Unterschiede diskutiert und so das gegenseitige Verständnis gestärkt. Ein Besuch ist deshalb wie eine Weltreise. --rwi
Wie eine Weltreise
Ein Besuch im «café international» bringt viele neue Eindrücke
Seit 2005 treffen sich Migranten und Einheimische jeweils am Donnerstagmorgen im «café international» im Zufikerhuus, um gemeinsam Deutsch zu sprechen. Dieser Kulturaustausch beflügelt beide Seiten und lässt sie miteinander verschmelzen.
Roger Wetli
Donnerstagmorgen, 9 Uhr: Im Parterre des Zufikerhuus sitzen Menschen aus aller Welt. Sie wollen gemeinsam die deutsche Sprache entdecken, sich im Sprechen verbessern und sich kulturell austauschen. Für viele Migranten hat die deutsche Sprache schier unüberwindbare Hürden. Ein Wort kann in einem bestimmten Zusammenhang plötzlich eine ganz andere Bedeutung erhalten. Für einige Lernende ist es schwierig, die Laute der deutschen Sprache verständlich auszusprechen, und vereinzelt macht sogar das Lesen Mühe.
Am Fundament arbeiten
Dies trifft zum Beispiel auf die 67-jährige Thanam Kanagarathnam aus Sri Lanka zu. Sie sitzt zusammen mit Landsmann Yogaratnam Kayilayapillai und Thierry Maetz an einem Tisch. «Das tamilische Alphabet besteht aus 256 Zeichen. Die Sprache hat ganz andere Laute als Deutsch», erklärt Kayilayapillai, der als Übersetzter hilft. «Wir müssen ihr deshalb zuerst einmal das lateinische Alphabet beibringen, und wie man die jeweiligen Buchstaben beim Lesen ausspricht.» Dazu nutzen sie farbige Karten mit Zeichnungen von Alltagsgegenständen. Zu dritt üben sie die Vokale in verschiedenen Kombinationen.
«Wir üben hier die Grundkenntnisse. Dies schafft die Voraussetzung, damit die Lernende später mal einen Deutschgrundkurs absolvieren kann», weiss Thierry Maetz, der in Frankreich aufgewachsen ist. «Auf dem jetzigen Niveau wäre das noch deutlich zu früh für diese Frau.»
Maetz engagiert sich wie alle anderen ehrenamtlich im «café-international». Er schätzt es, nach seiner Pensionierung einen Beitrag an der Gesellschaft leisten zu können. «Zudem ist der Austausch hier für mich immer sehr bereichernd.» Als pensionierter Projektleiter habe er früher in grossen Dimensionen denken müssen. «Hier an der Basis des Deutschen zu arbeiten, war für mich zu Beginn eine grosse Herausforderung. Wir bauen hier am Fundament.»
Kleine Missverständnisse – grosse Wirkung
Die halbe Welt ist neben dem Trio an einem weiteren Tisch versammelt. Die Frauen und der junge Mann kommen aus Brasilien, Mexiko, Sri Lanka und Thailand. Das Sprachniveau ist fortgeschrittener als bei der 67-jährigen Tamilin. Da die kulturellen Unterschiede gross sind, ist Deutsch das verbindende Element.
Heute erarbeitet Lis Keller mit der Gruppe, welche Wörter und Sätze man braucht, wenn man zum Arzt geht. «Das Ziel ist, dass sie ohne Übersetzer einen Besuch beim Doktor absolvieren können», erklärt Keller.
An sprachlichen Finessen wird an diesem Tisch gefeilt. Die Stimmung ist dabei fröhlich und ungezwungen. «Wir sind keine Sprachschule», betont Lis Keller. «Die Besucher sollen hier ihre Kenntnisse anwenden können. Einige wollen nach einem absolvierten Sprachkurs zu schnell den nächsten machen, kommen dann aber nicht wie gewünscht weiter. Es hilft dann, das erworbene Wissen bei uns setzen zu lassen.» Das Thema Arztbesuch hat Keller aufgrund der aktuellen Situation gewählt. Aber auch weil zwei Besucherinnen in der Pflege arbeiten und da noch einen grösseren Wortschatz brauchen.
Besser als die Einheimischen
Details werden auch in einer Gruppe am Konversationstisch geklärt, die mit drei Personen heute, coronabedingt, sehr klein ist. Die Frauen aus dem Kosovo und aus Sri Lanka üben zusammen mit der Betreuerin und Leiterin Brigitte du Moulin Grammatik. Die gebürtige Deutsche weiss, dass auch viele Personen mit Schweizerdeutsch Mühe mit dem Genitiv haben. «Es kommt immer wieder vor, dass Ausländer die deutsche Grammatik besser beherrschen als Schweizer», erklärt sie. «Dies, weil sich in diesem Bereich das Hoch- vom Schweizerdeutsch stark unterscheidet.» In diese Gespräche fliessen immer wieder Erfahrungen aus dem jeweiligen Geburtsland ein. Es entsteht ein internationaler Austausch auf Augenhöhe, der schliesslich alle etwas näher zusammenrücken lässt.
«Wichtig bei uns ist, dass wir keinen Druck auf die Teilnehmer ausüben. Es gibt keine Prüfung und keine Zielvorgaben», so Keller. «Wir schauen, wo die sprachlichen Bedürfnisse sind, stellen die Gruppenprogramme individuell zusammen und empfehlen den Teilnehmenden auch mal, einen regelmässigen Sprachkurs zu besuchen.» Wenn jemand möchte, erhält er vom Betreuerteam auch Lerntipps. Es sei oft von Vorteil, zwischen zwei regulären Intensivkursen eine Pause einzulegen und zum Beispiel einen Konversationskurs zu besuchen, damit man das neu Gelernte praktisch anwenden lernt und in seinen aktiven Wortschatz aufnehmen kann. Wichtig sei es, dass die Sprache gefühlt und in den Alltag integriert würde, erläutert Keller. Das «café international» trage dazu bei, sei aber kein Allheilmittel, lernen müsse doch jeder selbstbestimmt.
Der Besuch endet nach knapp zwei Stunden. Als Schweizer ist man in eine ganz andere Welt eingetaucht. Und man pflichtet Lis Keller bei, wenn sie sagt: «14 Tage an einem fernen Strand bringen bezüglich Weiterbildung und Kulturaustausch oft weniger als ein Morgen im café international.»
Das «café international» findet während der Schulzeit immer am Donnerstagmorgen zwischen 9 und 11 Uhr im Zufikerhuus, Schulstrasse 29, Zufikon, statt. Teilnehmen kann man ohne Voranmeldung. Auch Schweizer sind willkommen. Die Organisation «alli-mitenand Zufikon» ist konfessionell und finanziell unabhängig. Infos: www.alli-mitenand.ch.



