Kleinod kommt, Kleinod geht
11.12.2020 BremgartenBremgarten: Neujahrsblätter 2021 warten mit aussergewöhnlichen Ereignissen auf
«Rüssgfrörni» 1929 und 1569, eine Kinderhexe und nicht alltägliche Gebäude sowie deren Geschichte: Das Aussergewöhnliche bildet den Schwerpunkt der ...
Bremgarten: Neujahrsblätter 2021 warten mit aussergewöhnlichen Ereignissen auf
«Rüssgfrörni» 1929 und 1569, eine Kinderhexe und nicht alltägliche Gebäude sowie deren Geschichte: Das Aussergewöhnliche bildet den Schwerpunkt der Neujahrsblätter 2021.
Erika Obrist
Als das Redaktionsteam der Bremgarter Neujahrsblätter sich für das Schwerpunktthema «aussergewöhnliche Ereignisse» für die Ausgabe 2021 entschied, konnte es nicht ahnen, wie aktuell es damit lag. Zu den bereits zugesagten Berichten um die «Rüssgfrörni», Wetterunbill, einen Hexenmord und einen Bankenkrach kam unvermittelt die Coronapandemie dazu. Diese findet ihren Niederschlag in drei Beiträgen. «Diese sind auch Dokumente für die Nachwelt», ist sich Fridolin Kurmann bei der Präsentation der umfangreichen Jahresschrift sicher. Der Historiker ist Präsident der Schodoler Gesellschaft, welche die Neujahrsblätter herausgibt.
«Zierde der Altstadt»
Dokumentiert sind der Umbau des Alten Zeughauses und Oberer Zoll sowie der Brand des «Hühnerstalls», ein Einfamilienhaus, das vom grossen Max Bill erbaut worden war. Schliesslich zeichnet Alexander Spillmann die fast 50-jährige Geschichte des Hotels und Restaurants Stadthof nach.
In den 1960er-Jahren konnten Metzgermeister Paul Stierli und seine Frau Lisbeth ein baufälliges Wohnhaus an der Antonigasse kaufen. In ein Restaurant mit Hotel wollten sie dieses umbauen. Es zeigte sich rasch, dass dies im bestehenden Gebäude nicht möglich war. Also musste es abgebrochen werden. Die kantonale Denkmalpflege äusserte ihre Bedenken. Nach langem Hin und Her konnten die überarbeiteten Pläne umgesetzt werden. Und zwar so gut, dass der Denkmalpfleger Peter Felder in einem Schreiben an den Architekten festhielt, dass das neue Gebäude «der Bremgarter Altstadt zur Zierde gereicht». Auch die Bevölkerung lobte das neue Kleinod mit der herrlich gelegenen Terrasse mit Blick auf die Reuss.
Der «Stadthof» wurde zu einem beliebten Treffpunkt bei Jung und Alt, bei Gruppen und Vereinen. Im Hotel stiegen weniger Touristen, sondern vorwiegend Geschäftsleute und Durchreisende ab. Ende Jahr schliesst der «Stadthof». Restaurant und Hotel machen Wohnungen Platz. Die Bremgarter Altstadt wird um ein Kleinod ärmer.
Schönste Gasse Bremgartens
Neujahrsblätter 2021: «Antonigässlerin» Ruth Hirt-Wyler erzählt
Ruth Hirt-Wyler ist eine «Antonigässlerin» durch und durch. In dieser Gasse wurde sie geboren. Hier hat sie zusammen mit ihrem Mann Jean-Pierre die Galerie Antonigasse geführt. Als Stadtführerin gab sie vielen Menschen Einblick ins Reussstädtchen.
Erika Obrist
Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen: Als Ruth Hirt-Wyler 1932 im damaligen Haus Nr. 54 an der Antonigasse geboren wurde, hatten die Häuser keine Zentralheizung und meist keine Badezimmer. Die Kinder wurden jeweils nach der grossen Wäsche in einem Zuber in der Waschküche gebadet. Die Toiletten befanden sich am Ende der Laube oder im Treppenhaus – je zwei Etagen benutzten dasselbe WC.
Noble Zürcher Damen zu Besuch
In den Neujahrsblättern 2021 erzählt Ruth Hirt-Wyler aus ihrer Kindheit und aus der Schulzeit. «Wir Kinder konnten gefahrlos in der Antonigasse spielen», erinnert sich Ruth Hirt-Wyler. «Fangis» und Stelzenlaufen waren beliebt. An den Teppichklopfstangen, die an vielen Häusern angebracht waren, wurde herumgeturnt.
Ein Fest war es jeweils, wenn die noblen Damen aus Zürich kamen, um die Sommerfrische in ihrem Haus an der Antonigasse zu verbringen. Die Buben konnten sich etwas verdienen, indem sie mit dem Leiterwägeli das Gepäck der Damen vom Bahnhof ins Haus brachten.
Interessant war es für die Antonigasskinder, wenn sie den Handwerkern bei der Arbeit zuschauen konnten: dem Apotheker Meier beim Richten der Arzneien, dem Tapezierer beim Kämmen der Rosshaare, dem Elektriker beim Hantieren mit der Werkzeugkiste.
In Bremgarten gab es in Ruth Hirts Kindheit bis zu vierzig jüdische Familien. Während des Kriegs nahmen viele dieser Familien Flüchtlingskinder und Emigranten auf. Die Synagoge befand sich bis in die 1990er-Jahre an der Antonigasse 14 im obersten Stockwerk. «Sie galt als die Synagoge in der Schweiz mit der schönsten Aussicht», erinnert sich Ruth Hirt.
«Die Antonigasse ist und beibt die schönste von Bremgarten»
In der Antonigasse hatte auch Velohändler Boller sein Geschäft. Er vermietete Velos, die er geflickt hatte, die vom Besitzer wegen Geldmangels jedoch noch nicht abgeholt wurden, für 25 Rappen am Tag. Oder für 45 Rappen die Woche. «So konnte ich mit meinem Vater manchmal mitfahren, wenn er mit seinem Rad ins obere Freiamt fuhr.»
Zehn Jahre nach ihrer Heirat kauften Ruth und Jean-Pierre Hirt-Wyler 1971 das «Doktorhaus» in der Antonigasse. Hier zogen sie ihre Kinder gross. Weil der Verkehr stetig zunahm, musste jeweils eine Mutter die Kleinen in den Kindergarten in der Unterstadt begleiten. Von 1991 bis 2006 führte das Paar in seinem Haus die Galerie Antonigasse. 2003 starb Jean-Pierre Hirt.
«Ich blicke mit frohen Gedanken zurück», bilanziert Ruth Hirt-Wyler. Die Antonigasse ist nun eine Einbahnstrasse mit Parkverbot. Alle Wohnungen haben Kühlschrank, Badezimmer, eine eigene Toilette. Die jungen Mütter müssen keine Windeln mehr von Hand waschen. Lebensmittel und Textilien sind nicht mehr rationiert. Ob die Menschen zufriedener sind, weiss Ruth Hirt nicht. Eines ist aber gewiss: «Die Antonigasse ist und bleibt die schönste in Bremgarten.»
«Hühnerstall» abgebrannt
Ruth Hirt-Wyler ist eine aussergewöhnliche Frau – und die Bremgarter Neujahrsblätter 2021 sind voll mit Geschichten über aussergewöhnliche Ereignisse und aussergewöhnliche Gebäude und ihre Geschichte. So hat sich Redaktionsmitglied Jörg Baumann auf Spurensuche begeben zum Villiger-Haus im Krähenbühl. Dieses wurde vom bekannten Schweizer Architekten Max Bill gebaut. Es wurde mit Fertigbauelementen der Firma Durisol
AG erstellt. Einige Bremgarter können mit dem Flachdachbau wenig anfangen. Im Volksmund wird das Haus bald als «Hühnerstall» abgestempelt. Diesen Ruf wird es bis zum Abbruch im Jahr 1978 nicht mehr los. Das aussergewöhnliche Haus, das heute wohl als Architektur-Ikone gelten würde, nimmt ein trauriges Ende als Übungsobjekt der Bremgarter Feuerwehr: Am 3. Juli entfacht sie auf dem Abbruchplatz ein Feuer, in dem die Reste des Villiger-Hauses abbrennen.
Ab sofort erhältlich
Die Neujahrsblätter werden jedes Jahr von der Schodoler Gesellschaft herausgegeben. Der Redaktionsgruppe gehören folgende Personen an: Hans Peter Bäni, Jörg Baumann, Lis Glavas, Georges Hartmeier, Reto Jäger, Melanie Keusch, Fridolin Kurmann und Alexander Spillmann. Die Koordination der Neujahrsblätter liegt bei Fridolin Kurmann.
Die Neujahrsblätter sind ab sofort erhältlich. Sie können an folgenden Orten gekauft werden: in der Buchhandlung Furrer an der Zugerstrasse 7, bei Herrenmode Rolf Meyer an der Marktgasse 3, im Café Bremgarten by Marco Polo an der Marktgasse 20, bei Marco Polo Sonne Bremgarten an der Marktgasse 1 sowie am Schalter von Aargau Verkehr AG an der Zürcherstrasse 10. --red



