Ein neues Leben mit Ritalin
20.11.2020 HägglingenStephan Rey spricht in seinem Buch offen über sein ADHS
Mit 45 Jahren findet Stephan Rey heraus, dass er ADHS hat. Bislang dachte er einfach, dass er «halt ein bisschen anders» sei. Seit drei Jahren nimmt er Ritalin dagegen. Er sagt: «Das Medikament gibt ...
Stephan Rey spricht in seinem Buch offen über sein ADHS
Mit 45 Jahren findet Stephan Rey heraus, dass er ADHS hat. Bislang dachte er einfach, dass er «halt ein bisschen anders» sei. Seit drei Jahren nimmt er Ritalin dagegen. Er sagt: «Das Medikament gibt mir eine enorme Lebensqualität.»
Chantal Gisler
Stephan Rey sitzt entspannt in seinem Stuhl. Wenn er von seinem Buch erzählt, lächelt er. Seine Hände ruhen auf dem Tisch, er spricht langsam und deutlich. Man will ihm fast nicht glauben, dass er ADHS hat und eigentlich innerlich total unruhig ist. Oder impulsiv, wie es in der Fachsprache heisst. Seit sieben Jahren weiss der 52-Jährige von der Störung. Seit drei Jahren nimmt er Ritalin – und fühlt sich endlich befreit.
Seine Erlebnisse mit dem ADHS hat er in einem Buch veröffentlicht. «Eigentlich sollte es nicht veröffentlicht werden. Ich schrieb es mehr für mich.» Aber je länger er sich mit Ritalin auseinandersetzte, desto mehr merkte er, dass es hauptsächlich Bücher gibt, in denen Ritalin verteufelt wird. Höchste Zeit, dass jemand eine andere Seite des Medikaments aufzeigt und die Leute sehen, wie gut es wirken kann.
Immer unruhig
ADHS ist eine Verhaltensstörung, die in zwei Formen auftritt. Menschen mit ADHS sind entweder sehr impulsiv, was von der Gesellschaft oft als hyperaktiv angesehen wird, oder eher verträumt. In beiden Fällen gibt es ähnliche Symptome. Man kann sich nicht konzentrieren, ist vergesslich oder schweift sehr schnell ab. «Grundsätzlich hat jeder Mensch einige ADHS-Symptome», erklärt Stephan Rey. «Aber man spricht erst von ADHS, wenn mehrere Symptome gleichzeitig auftreten.» Bei ihm sind es drei Viertel aller Symptome, die zusammenkommen. Das Medikament Ritalin kann helfen, zu beruhigen.
Für den Hägglinger bedeutet das eine ständige innere Unruhe. Er fühlt sich ständig gehetzt und gestresst. Lange still sitzen? Unmöglich. Schon nach wenigen Minuten beginnt er mit dem Bein zu wippen und auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.
Endlich eine Erklärung
Lange wusste er nichts von der Störung. «Ich dachte halt immer, dass ich etwas anders, etwas aktiver bin.» In der Schule war er der Klassenclown. «Manche Lehrer können damit umgehen, andere sind überfordert», sagt Rey, der zwischenzeitlich auch in Muri zur Schule ging. Trotz ADHS konnte er seine Ausbildung zum Pflegefachmann absolvieren. Heute arbeitet er bei einer psychologischen Spitex. Hier ist er viel unterwegs und muss selten an einem Ort sitzen.
Früher machte ihm das ADHS manchmal zu schaffen. «Es kommt vor, dass ich sehr impulsiv reagiere und meinem Gegenüber beispielsweise sage, dass etwas ein ‹Schissdräck› ist. Obwohl ich das eigentlich nicht so sagen wollte.» Das geschah bei einer früheren Arbeit. Bei der Spitex merkt niemand, dass Rey ADHS hat.
Erst vor sieben Jahren erhielt Rey die Diagnose. Er ging zu einer Therapeutin, um an der Bindung mit seiner Tochter zu arbeiten. «Sie sagte mir, ich sollte doch zuerst einmal an meiner eigenen Impulsivität arbeiten.» Er liess sich testen und erfuhr, dass er ADHS hat. «Die Nachricht hat mich nicht schockiert, ich habe sie einfach zur Kenntnis genommen.»
Von Ritalin wollte er anfangs nichts wissen. Nach vier Jahren änderte er aber seine Meinung darüber. «Meine Ärztin wies mich immer wieder darauf hin, dass meine Symptome mit dem Ritalin weniger werden würden. Ich dachte mir irgendwann dann, was, wenn das tatsächlich stimmt?» Zum ersten Mal in seinem Leben nahm Stephan Rey Ritalin. «Es war ein unglaubliches Erlebnis. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich entspannt und nicht mehr gehetzt.»
All diese Erlebnisse hat er in seinem Buch aufgeschrieben. «Ich möchte, dass noch mehr Leute, die vielleicht mit dem Gleichen zu kämpfen haben wie ich, erfahren, wie grossartig Ritalin helfen kann.»