Ende nach 45 Jahren
30.06.2020 ZufikonPrimarlehrer Toni Bieler geht in Pension
Vor viereinhalb Jahrzehnten begann Toni Bieler, in Zufikon Primarschüler zu unterrichten. Die Ära endet am Freitag.
Als der Wettinger seine Laufbahn als Lehrer begann, schüttelte sein Umfeld ...
Primarlehrer Toni Bieler geht in Pension
Vor viereinhalb Jahrzehnten begann Toni Bieler, in Zufikon Primarschüler zu unterrichten. Die Ära endet am Freitag.
Als der Wettinger seine Laufbahn als Lehrer begann, schüttelte sein Umfeld verständnislos den Kopf. In seiner Heimatgemeinde war der begabte Musiker als «Heintje von Wettingen» bekannt. Anstatt Profmusiker zu werden, wollte Toni Bieler lieber Primarschüler unterrichten. Bereut hat er diesen Entscheid nie. Ihm ist Zufkon sehr ans Herz gewachsen. --rwi
Abschied eines Leidenschaftlichen
Primarlehrer Toni Bieler verabschiedet sich nach viereinhalb Jahrzehnten
Als Musiker standen Toni Bieler sämtliche Türen offen. Trotzdem wählte er den Beruf des Primarlehrers und blieb der Schule Zufkon 45 Jahre treu. Ende dieser Woche geht er in Pension. Er ist der Lehrer, der in Zufikon am längsten unterrichtete.
Roger Wetli
45 Jahre, 16 Klassen, 428 Schüler; Primarlehrer Toni Bieler ist in Zufkon eine Ikone, eine Person, die durch seinen grossen Einsatz und sein positives Wesen das Dorf geprägt hat. Ende Woche geht er in Pension. Mitnehmen wird er sein Klassenbuch, in dem er fein säuberlich sämtliche Schüler aufgeführt hat. Ebenfalls nach Hause nimmt er seine Schülerdossiers. Dort drin befndet sich von jedem Schüler ein Steckbrief, den seine Schützlinge geschrieben hatten, bevor sie zu einem anderen Lehrer kamen. Dazu kommt eine Zeichnung. Später archivierte Bieler Zeitungsartikel hinzu, die über seine Schüler geschrieben wurden.
Toni Bieler ist stolz auf sie. Er sieht seine Rolle als Wegbegleiter, der seine Schüler zwischen der 3. Klasse und dem Übertritt in die Oberstufe unterstützte und versuchte, das Positive noch zu verstärken.
«Heintje von Wettingen»
«Ich versuche die Klasse ständig zu lesen», verrät Toni Bieler. «Wie ist die Stimmung gerade? Ist sie fröhlich oder gibt es Bedarf, mein Programm anzupassen?» Um diese Flexibilität zu ermöglichen, bereitete sich der Lehrer akribisch auf den Unterricht vor. «Ich hatte deshalb nie ein ganzes freies Wochenende. Dies teilweise zum Leidwesen meiner Frau», beteuert er. «Kopierte Prüfungen aus den Vorjahren gab es bei mir nie. Ich fand es viel zu spannend, neue zu kreieren.» Toni Bieler fand im Lehrerberuf eine Möglichkeit, sich kreativ zu entfalten, Wertschätzung zu geben und wieder welche zurückzuerhalten.
Aufgewachsen ist Toni Bieler in Wettingen. Als er Lehrer wurde, schätzte sein Umfeld, dass er den Beruf nach einem Jahr wieder an den Nagel hängt und dann über ein Studium zum Berufsmusiker wird. Aus der Luft gegriffen war diese Ansicht nicht. «In Wettingen war ich als Musiker und Solosänger sehr bekannt», schaut Toni Bieler zurück. Als «Heintje von Wettingen» hätten sie ihn bezeichnet. Er trat in der ganzen Schweiz auf. Mit 20 durfte er als erster Schweizer die grösste Orgel der Welt bespielen, die in den USA steht. «Das Musikgeschäft ist aber sehr hart und der gegenseitige Neid riesig. Deshalb wollte ich was anderes machen», so Bieler. Die Musik führte ihn schliesslich nach Zufkon. «In Fribourg sang ich für den Jugendchor des Dorfes ein schwieriges Solo. Beim Mittagessen fragte ich, ob sie noch einen Lehrerpraktikanten brauchen könnten.»
Zufkon kannte er zuvor noch nicht. Als bekanntes Gesicht in Wettingen wollte er in einer Gemeinde unterrichten, die ihn nicht bereits kannte. «Während des Praktikums fragte mich der Schulpfegepräsident von Zufkon, ob ich eine Festanstellung haben möchte. Ich sagte zu und bin bis heute geblieben.»
In den ersten Wochen fuhr er täglich mit einem Damenvelo von Wettingen nach Zufkon. Dann wohnte er im Willihaus. «Ich hatte dort ein Zimmer. Im Dorf sagten sie: ‹Ein Portugiese, ein Italiener, ein Ölöfeli und der neue Lehrer›», schmunzelt Bieler. Nach der Rekrutenschule zog er als Untermieter bei der Lehrerin Hedi Schüepp ein. Diese wohnte im ehemaligen Postgebäude neben der Kirche. «Es war ein grosses Glück. Denn dadurch habe ich oft die Orgel der gespielt und das Gebäude anschliessend geschlossen.»
«Bieler» werden
Als junger Lehrer stellte er vieles infrage und probierte vieles aus. «Es ging mir alles sehr ring. Man geht heute viel mehr auf den einzelnen Schüler ein. Damals musste man vor allem ein Jahresziel durcharbeiten. Also zum Beispiel ein gewisses Buch fertig behandeln. Ich selber war aber ein wenig frech und habe vieles ausprobiert», erinnert sich Toni Bieler. Als Lehrer ist er in Zufkon derart beliebt, dass ein Kind einmal als Berufswunsch «Bieler» angab, und damit «Lehrer» meinte. «Wenn ich so was höre, rührt mich das sehr», ist Toni Bieler fast den Tränen nahe. Das ging Ende der 70er-Jahre so weit, dass ihn gar seine Schüler von zu Hause abholten.
Ein Schüler seiner ersten Klasse hatte ihm einen Stock geschnitzt, den Bieler immer noch im Klassenzimmer aufbewahrt. Bei den zahlreichen, von Bieler geschriebenen Krippenspielen durfte diesen Stock immer der älteste Hirte tragen.
Im Dorf leitete er den Männerchor und war in den Organisationskomitees von verschiedenen Dorf- und Jugendfesten aktiv. Er schrieb das Festspiel, das im Jahr 2000 zur 850-Jahr-Feier von Zufkon aufgeführt wurde. «Ich habe es nie bereut, nach Zufkon gezogen zu sein und später hier auch meine Familie grossgezogen zu haben. Das Dorf hat mir immer viel zurückgegeben», ist Bieler dankbar.
Neben unzähligen schönen, erlebte Toni Bieler auch ein paar traurige Ereignisse. «Ich versuchte, auch dann immer ein Vorbild zu sein», erklärt er. Einer seiner dunkelsten Momente sei gewesen, als 1985 das Lehrerzimmer brannte. Als neuer Rektor hatte er zuvor ein Jahr lang alle Unterlagen aufbereitet und perfekt eingerichtet. «Als ich nach all dieser Zeit endlich fertig war, ging ich nach Hause. Am nächsten Tag war alles verbrannt», bedauert er noch heute.
Immer am Ball bleiben
Gar nichts aus machte ihm dagegen, dass er seit einigen Jahren jetzt bis zur 6. Klasse unterrichten darf. «Das öffnete mir thematisch eine weitere Welt, was ich sehr spannend fand.» Mit der gleichen Einstellung ging er die Herausforderungen des Heimunterrichts in diesem März und April an. «Einige Kollegen fragten mich zwar, wieso ich mir das kurz vor der Pensionierung noch antun möchte. Ich wollte aber immer am Ball bleiben», betont Toni Bieler mit tiefer Überzeugung. «Ich hatte danach abends den Kopf zwar voll. Es war aber sehr erfüllend für mich.»
Der Kreis schliesst sich
Toll war für ihn, dass vor drei Jahren eine Lehrerin frisch aus der Ausbildung in Zufkon mit Unterrichten begann. «Mit ihr habe ich unter anderem das Krippenspiel im letzten Dezember nochmals aufeben lassen. Sie ist musikalisch und fröhlich. Ihn ihr erkenne ich mich wieder», so Bieler. «Der Kreis schliesst sich.» Er wird das Unterrichten und seine Schüler vermissen. Man bleibe jung, wenn man mit Kindern zusammen arbeite.
Er habe jetzt ein Grosskind und möchte das Leben als Grossvater geniessen. «Für die Pension liess ich extra einen Schwimmteich errichten», erklärt er. Toni Bieler wird oft von Chören angefragt, ob er mitmachen möchte. Zuerst möchte er aber mal auf Reisen gehen, soweit es die aktuelle Weltlage zulässt. «Die unzähligen Projekte verhinderten immer lange Reisen. Ich war zum Beispiel noch nie in Amerika oder Afrika. Aber auch Berlin und Hamburg reizen mich.» Er höre sehr zufrieden auf, aber auch ein wenig mit Wehmut.