Eine Chance für junge Rehe
22.05.2020 ZufikonJäger retten Rehkitze vor dem Mähtod
Aktuell werden die kleinen Rehe im hohen Gras geboren. Just zu der Zeit, in dem die Wiesen von den Landwirten gemäht werden. Die meisten Landwirte schalten vorher die Jäger ein, um die Tiere zu vertreiben. Aber nicht ...
Jäger retten Rehkitze vor dem Mähtod
Aktuell werden die kleinen Rehe im hohen Gras geboren. Just zu der Zeit, in dem die Wiesen von den Landwirten gemäht werden. Die meisten Landwirte schalten vorher die Jäger ein, um die Tiere zu vertreiben. Aber nicht alle Bauern tun das.
Roger Wetli
Jäger Ewald Wendel aus Zufikon blutet das Herz. Er hat ein Rehkitz gefunden, das durch eine Mähmaschine getötet wurde. «Schlimm ist es hier, weil wir mehrmals versucht haben, die Landwirte zu ermuntern, uns vor dem Mähen Bescheid zu geben. Dann hätten wir das Feld absuchen und die Rehkitze vertreiben oder heraustragen können. Das ist hier leider nicht passiert.»
Krähen zeigen Standort an
Ewald Wendel ist einer von unzähligen Aargauer Jägern, die diese Arbeit im Ehrenamt tun. «Ich habe ein Nachbarfeld abgesucht und gesehen, dass auch die andere Parzelle mähreif ist», erzählt er. «Nach verschiedenen erfolglosen Anrufen bin ich ohne Absprache das Feld absuchen gegangen und habe ein Reh retten können.» Abends habe er dann von Dritten erfahren, dass das Feld gemäht ist. «Krähen haben mir dann den Standort des toten Rehkitzes angezeigt.» Ewald Wendel weiss von benachbarten Jägern, dass der entsprechende Landwirt nie meldet, wann er den Grasschnitt macht. «Dafür wäre es so einfach. Ein Anruf an uns genügt.»
Keine Verpfichtung im Jagdgesetz
Roli Koch bejagt vier Nachbarreviere von Ewald Wendel. Auch er kennt das Problem: «Der Grossteil der Landwirte informiert uns. Es kann aber auch mal vergessen gehen.» Dafür habe er Verständnis. «Schlimm ist es, wenn jemand es absichtlich nicht macht.»
Laut Erwin Osterwalder von der kantonalen Jagdverwaltung gibt es für Landwirte keine gesetzliche Pficht, vor dem Mähen ihrer Wiesen die Jäger zu informieren. «Zumindest steht davon nichts im Jagdgesetz. Ein Landwirt muss im Mai und Juni aber damit rechnen, dass Rehkitze in seiner Wiese liegen», betont er. «Damit könnte das Tierschutzgesetz zum Zug kommen. Dieses besagt, dass keinem Tier absichtlich Leid zugefügt werden darf. Erfolgreich Anzeige zu erstatten, wird aber schwierig.» Osterwalder appelliert deshalb an die Vernunft, die Rehkitze vorgängig aus den Feldern zu vertreiben.
Gute Erfahrungen mit Jägern
Im letzten Jahr sind im Aargau 166 Rehe durch landwirtschaftliche Maschinen getötet worden. Diese Zahl wird durch Reto Fischer von der kantonalen Jagdverwaltung erhoben. «Wie viele es trotz vorgängigen Massnahmen waren, wissen wir nicht, da diese in der Statistik nicht separat ausgewiesen werden.»
Gute Erfahrungen mit den Jägern haben die Landwirte Martin Ernst aus Widen und Hans Zurkirchen aus Fischbach-Göslikon gemacht. Beide betonen, dass die Zusammenarbeit sehr einfach, unkompliziert und für sie sogar gratis ist. «Ich sehe die Rehkitze gerne und habe kein Interesse, diese zu töten», betont Martin Ernst. «Es ist eine Win-win-Situation für beide.» Komme hinzu, dass ein unabsichtlich aufgeladener Kadaver im Heu zu Vergiftungen bei den gefütterten Tieren führen könne. «Wenn man sich mit einem Jäger nicht versteht, gibt es andere, die man anrufen kann», weiss Hans Zurkirchen. «Wichtig ist, dass man es tut.» Er würde jeweils nach der Absuche der Jäger und nach dem Mähen eine Meldung erhalten.
Kein Widerspruch zwischen Jagen und Retten
Auch Ewald Wendel betont, dass die Zusammenarbeit mit den Landwirten meist sehr gut funktioniert. Er habe Anfang Mai bereits sechs Rehkitze gerettet. «Mein Vorteil ist, dass ich im Dorf ein Unternehmen betreibe. Das erlaubt mir, auch kurzfristig die Wiesen abzusuchen.» Ein Restrisiko bleibe auch nach dieser Aktion noch. «Wenn dann doch ein Rehkitz vermäht wird, erhebe ich gegen niemanden Vorwürfe.»
Der Jäger macht diese Arbeit seit 15 Jahren. Wendel hat in dieser Zeit beobachtet, dass Rehmütter den Geburtstermin etwas steuern können. So gebären sie im Mai und Juni dann, wenn sich eine Trockenperiode ankündigt, wie es in dieser Woche der Fall ist. Er sieht keinen Widerspruch darin, dass er die jungen Tiere rettet, um sie später zu schiessen. «Wir schützen die Kinderstube und lassen sie aufwachsen. Dass wir später wieder den Bestand regulieren und die geschossenen Tiere auch verwerten, gehört dazu.» Umso wichtiger sei es, dass die Rehkitze vor dem Mähen aus der Wiese vertrieben oder herausgetragen werden können.