Trainieren geht problemlos
24.04.2020 RadsportWie geht es dem Radsport im Freiamt?
Radsportler haben während der Coronakrise weniger Probleme zu trainieren als andere Sportler. Das heisst nicht, dass die Situation spurlos an ihnen vorbeigeht. Der Joner Urs Huber und die Häggligerin Michelle Andres ...
Wie geht es dem Radsport im Freiamt?
Radsportler haben während der Coronakrise weniger Probleme zu trainieren als andere Sportler. Das heisst nicht, dass die Situation spurlos an ihnen vorbeigeht. Der Joner Urs Huber und die Häggligerin Michelle Andres erzählen.
Sie brauchen keinen Ball, haben keine Teamkollegen, von denen sie sich distanzieren müssen und müssen nicht in eine Halle oder auf einen Sportplatz, die aktuell geschlossen sind. Radsportler haben es verglichen mit ihren Kollegen aus der restlichen Sportwelt leicht. Das sollte man meinen.
Der Mountainbiker Urs Huber aus Jonen und die Radrennfahrerin Michelle Andres aus Hägglingen erzählen, mit welchen Schwierigkeiten sie während der Coronakrise zu kämpfen haben. Huber hätte in Südafrika beinahe in Quarantäne müssen. Andres wurde beim Training von hupenden Autofahrern gestört. Dennoch versuchen die beiden Freiämter Radsportler das Beste aus ihrer Situation zu machen. --jl
Das Rad dreht sich weiter
Der Joner Urs Huber und die Hägglingerin Michelle Andres während der Coronakrise
Radsportler haben während der Coronakrise keine Trainingseinschränkungen. Aufs Rad sitzen, losfahren, fertig. Sie müssen mit anderen Problemen kämpfen. Mountainbiker Urs Huber und die Rennradfahrerin Michelle Andres erzählen davon. Von finanziellen Einbussen, aggressiven Autofahrern und Chaos in Südafrika.
Josip Lasic
«Ich weiss, dass ich in einer privilegierten Situation bin», sagt Urs Huber. Der Joner erzählt, dass er uneingeschränkt trainieren kann. Joggen, wandern, Training auf dem Rad oder zu Hause im Kraftraum. So sieht sein Programm aus. Er trainiert aber reduziert. «Ich hoffe, dass es ab August Rennen gibt», erklärt der 34-Jährige. «Ich will dann nicht übertrainiert sein.»
Trotz Privilegien geht die Coronakrise auch am Mountainbiker nicht spurlos vorbei. Zum Saisonstart gewann er mit Teamkollege Simon Stiebjahn den Tankwa Trek in Südafrika. Es war die Generalprobe für das Cape Epic, den wichtigsten Wettkampf des Jahres. Dann eskalierte die Situation rund um das Virus. «Wir haben die Veranstalter des Cape Epic mehrfach angefragt. Es hiess immer, dass das Rennen stattfindet.» Der Joner flog mit einem unguten Gefühl nach Südafrika. Tatsächlich, vor Ort hiess es, dass das Rennen abgesagt ist. Rund 1200 Fahrer aus der ganzen Welt waren angereist und wurden wieder nach Hause geschickt. «Bei mir hat das Team alles Finanzielle geklärt. Als Amateurfahrer wäre ich allerdings sauer.» Huber sagt, dass es schlimmer hätte kommen können. Das Cape Epic dauert sieben Etappen. «Wäre nach ein paar Tagen bei einem Fahrer eine Infektion festgestellt worden, hätte man das Rennen abgebrochen. Danach wären wir zwei Wochen lang irgendwo in Südafrika in Quarantäne gewesen.»
Finanzieller Schaden ist gross
Dem Joner fehlen die Wettkämpfe. «Es ist schwieriger zu trainieren, wenn man kein Rennen als Ziel vor Augen hat.» Ohne Rennen fallen auch Preisgelder und Siegprämien weg. Für den Vollprofi bedeutet das viel Geld. «Ich büsse rund einen Drittel meiner Jahreseinnahmen ein», erklärt er. Dann ergänzt Huber mit Galgenhumor: «Ich kann noch jeden Tag etwas Warmes essen. Die Situation ist aber spürbar.»
Ansonsten finanziert sich der Kellerämter durch Sponsoren. Der Radhersteller «Bulls» ist Teamsponsor. Privat verfügt Huber über weitere Geldgeber. Alle sind aus der Region. Ein Baugeschäft, eine IT-Sicherheitsfirma und ein Restaurant. «Die ersten beiden haben aktuell noch genug Arbeit. Wie es um das Restaurant steht, kann ich noch nicht sagen», so Huber. «Mir macht eher der Blick in die Zukunft Sorgen. Ich kann nicht einschätzen, wie sich diese Krise auf die Radbranche auswirken wird. Davon hängt viel ab.» Unterkriegen lässt sich der Sportler aber nicht. «In jüngeren Jahren hätte mir das mehr ausgemacht. Ich habe Routine und weiss, dass es nichts bringt, den Kopf in den Sand zu stecken. Es wird weitergehen.»
Aus der Not eine Tugend gemacht
Die Hägglingerin Michelle Andres fährt im Gegensatz zu Huber auf der Strasse oder auf der Radbahn. Sie versucht, das Beste aus der Situation herauszuholen. «Bisher war es so, dass ich nach der Bahnsaison sofort auf die Strasse wechselte», sagt die 22-Jährige. «Dadurch und durch die vielen Reisen zwischen den Rennen hat mir jeweils Grundlagentraining gefehlt. Das kann ich jetzt nachholen.»
Seit dem Corona-bedingten Lockdown trainiert Andres täglich mehrere Stunden. Entweder auf dem Fahrrad oder im zu Hause eingerichteten Trainingsraum. «Zu Beginn des Lockdowns hatte ich etwas Mühe, draussen zu trainieren. Viele Autofahrer haben gehupt und mir Dinge hinterhergerufen. Die dachten, dass ich zum Spass Velo fahren gehe. Dabei ist das mein Job. Mittlerweile erlebe ich das nicht mehr.» Die Hägglingerin sieht in der aktuellen Situation eine Chance. Sie fährt für das Team des ehemaligen luxemburgischen Radsportlers Andy Schleck. Die Freiämterin war viel unterwegs. «Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten vier Jahren länger als zwei Wochen am Stück zu Hause gewesen zu sein.» Sie nutzt die Zeit auch, um sich stärker ihrer Ausbildung zu widmen. Andres studiert Kommunikation und Medien sowie Soziologie an der Uni Fribourg. «Ich habe bisher immer alle Prüfungen bestanden, konnte mich aber nie so intensiv vorbereiten wie jetzt. Die Vorlesungen sind bis Juni abgesagt, werden aber gestreamt oder als Podcasts angeboten. Ich habe mir bisher alles quasi per Fernstudium angeeignet und habe so weniger Mühe, mich jetzt selbst zu strukturieren.»
Freund und Kolleginnen fehlen ihr
Auch für Andres hat die Situation nicht nur gute Seiten. Sie vermisst ihre Teamkolleginnen, die sie sonst regelmässig sieht. Ihr Freund lebt in Dänemark. Sie musste sich also auch darauf einstellen, ihn mehrere Monate nicht zu sehen. Die Sponsorensuche hat sie vorerst auf Eis gelegt. «Mir fehlen zwar Einnahmen, aber ich wohne bei meinen Eltern zu Hause. So habe ich kaum Ausgaben», erklärt sie. «Meinen Freund und die Kolleginnen sehe ich jetzt länger nicht. Dafür werde ich nach mehreren Jahren wieder am Geburtstag meines Bruders anwesend sein», sagt die Hägglingerin. «Man kann aus jeder Situation etwas Positives ziehen. Aktuell habe ich genug Zeit, um zu überlegen, wie ich das anstelle.»