Ohne Zeitdruck proben
31.01.2020 OberlunkhofenPhilipp Scherer leitet neu den Kirchenchor Lunkhofen
Seit letzten September ist Philipp Scherer beim Kirchenchor Lunkhofen tätig. Er sieht im Verein grosses Potenzial und möchte die Stimmen langsam wachsen lassen.
Roger ...
Philipp Scherer leitet neu den Kirchenchor Lunkhofen
Seit letzten September ist Philipp Scherer beim Kirchenchor Lunkhofen tätig. Er sieht im Verein grosses Potenzial und möchte die Stimmen langsam wachsen lassen.
Roger Wetli
«Es ist auch ein Ankommen in der Region», erzählt Philipp Scherer mit glänzenden Augen. Vor wenigen Jahren ist der Deutsche nach Aristau gezogen. «Meine Tätigkeit im Kirchenchor vermischt sich stark mit Privatem.» Für ihn passt das sehr gut. Er, der ausgebildete Opernsänger, der sonst oft in professionellen Orchestern tätig ist, findet es äusserst spannend, mit Laien zusammenzuarbeiten. Scherer kannte den Chor bereits vorher, da er als Solist an zwei Osterkonzerten mitgesungen hatte. «Das erleichterte den Einstieg sehr, da ich mit den Leuten bereits vertraut war und ihr Niveau etwas abschätzen konnte.»
Grosse Ähnlichkeiten zur Landwirtschaft
Angefragt für den Job wurde er von seinem Vorgänger, der ihn von der Zusammenarbeit her kannte. «Ich konnte ihn im Vorfeld mit vielen Detailfragen löchern», lacht Scherer. Dass ihm der Kirchenchor sein Vertrauen geschenkt hat, ist für ihn alles andere als selbstverständlich. «Ich hatte zuvor nie professionell dirigiert. Ich tat das zwar im Studium. Aber es ist ein grosser Unterschied, ob man einen Laienchor oder seine Mitstudenten dirigiert, die eigentlich selbstständig singen.» Die Erfahrungen der letzten sechs Monate seien aber eine unglaubliche Bereicherung gewesen.
In Aristau wohnt er in einem alten Haus mit viel Umschwung, wo er Gemüse und Früchte anbaut. «Ich sehe grosse Ähnlichkeiten zwischen der klassischen Musik und der Landwirtschaft. Denn beide bauen auf vorhandenem Potenzial auf, dem man für seine nachhaltige Endfaltung Zeit geben muss und nicht überstrapazieren darf.» Vor 100 Jahren hätten klassische Sänger die schwierigsten Stücke erst im reifen Alter gesungen. Heute würde man die jungen Stimmen über ihre Grenzen bringen. «Diese gehen dann nachhaltig kaputt», bedauert er.
Die Stücke richtig fühlen
Er möchte deshalb den Kirchenchor fordern, aber nicht überfordern. «Ich sehe hier grosses Potenzial», betont er. «Die Mitglieder sollen neue Lieder üben können, aber ohne Zeitdruck.» Ein neues Stück zu erarbeiten, sei für ihn selber immer mühsam. «Ich muss da selber lieb zu mir sein. Als Chorleiter trage ich zudem die Verantwortung, dass die Mitglieder bei den Proben Spass haben.»
Scherer möchte den Fokus auf das Vorhandene legen. «Im Studium stand meistens das Ausmerzen von Fehlern im Mittelpunkt. Das nimmt einem die Freude, auch wenn man selber Konzerte besucht und dann nur noch das Nicht-Perfekte hört.» Er habe klare Vorstellungen, wie ein Stück klingen müsse. Erreiche er dies mit dem Chor nicht, liege es in seiner Verantwortung, nach neuen Wegen zu suchen, wie das Ziel erreicht werden kann. «Die Chormitglieder sollen die Lieder nicht einfach nur singen, sondern sie auch fühlen», erklärt er seinen Anspruch. Dazu erkläre er gerne die Hintergründe der Stücke.
Gleiches Lied neu interpretiert
Begeistert ist Philipp Scherer von der Offenheit der Chormitglieder. «Einzelne singen bereits seit 60 Jahren mit. Trotzdem nehmen sie meine Vorschläge an. So klingt das ‹Ave Verum› von Mozart plötzlich ganz anders, obwohl es der Chor seit Langem immer wieder singt.» Einzelne Mitglieder seien richtiggehend fasziniert von den neuen Klangfarben gewesen. Offen sind die Sängerinnen und Sänger auch, was flexible Probentage betrifft. «Durch meine anderen beruflichen Verpflichtungen können wir nicht immer gleich oft und am selben Wochentag proben. Sie sind da aber sehr gnädig», ist Scherer froh.
Der Deutsche ist sehr religiös aufgewachsen. Zwar nicht katholisch, sondern methodistisch und reformiert. «Die katholische Kirche mit ihren Bräuchen, Messegewändern und dem Weihrauch fasziniert mich, ebenso deren jahrhundertealten Traditionen», leuchten seine Augen erneut. Als Kirchenchor sei er bei den Liedern an das Kirchenjahr gebunden. «Ich befasse mich intensiv mit den Bedeutungen der einzelnen Messen. Und entdecke dabei sehr Spannendes.» So sei zum Beispiel der Christkönig um 1924 als Gegenentwurf zu Nationalismus und Monarchie entstanden.
Den Chor sichtbar machen
Er möchte mit dem Chor musikalisch anspruchsvolle Projekte umsetzen. Auch solche, für die zeitlich begrenzt auch weitere Personen mitmachen dürfen. Ein weiteres Anliegen von ihm ist, den Chor den Leuten näherzubringen. «Bisher wurde immer von der Empore aus gesungen. Das klang zwar sehr gut, gleichzeitig waren wir aber etwas versteckt.» Deshalb möchte Scherer den Chor auch mal unten bei den Leuten singen lassen. Und noch eine Philosophie gibt er preis: «Der beste Chor ist nicht derjenige, der laut überzeugt, sondern auch in den leisen Tönen begeistert.»
Persönlich
Der gebürtige 33-jährige Deutsche Philipp Scherer ist in Wuppertal aufgewachsen. Er studierte in Zürich Gesang und Gesangspädagogik. Anschliessend wohnten seine Frau und er ein halbes Jahr in Rom, dann ein Jahr in Bayern. Seit 2017 ist das Paar in Aristau zu Hause. Philipp Scherer arbeitet als selbstständiger Konzert- und Opernsänger in den verschiedensten Projekten mit. --rwi