Verstörender Einblick in die Psyche
20.09.2019 FilmIn der Aristauer Turnhalle sorgte der Film «Der Läufer» für viele Emotionen
Der «Mitternachtsmörder» Mischa E. bewegte 2002 nicht nur Bern, sondern die ganze Schweiz. Seine Geschichte hat Regisseur Hannes Baumgartner im Spielfilm «Der ...
In der Aristauer Turnhalle sorgte der Film «Der Läufer» für viele Emotionen
Der «Mitternachtsmörder» Mischa E. bewegte 2002 nicht nur Bern, sondern die ganze Schweiz. Seine Geschichte hat Regisseur Hannes Baumgartner im Spielfilm «Der Läufer» aufgearbeitet. Der Verein «Roadmovie» brachte den Film nach Aristau.
Annemarie Keusch
Fröhlich ist die Stimmung in der Pause nicht. «Ich weiss nicht, was ich mit dem Film anfangen soll», sagt eine Frau zu ihrer Kollegin. «Der Läufer» kommt ohne grosse Dialoge aus. Vielmehr wird mit Mimik gearbeitet. Der Film beruht auf wahren Tatsachen und zeigt das Leben von Mischa E., einem erfolgreichen Läufer, der später als «Mitternachtsmörder von Bern» in die Geschichte einging. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in jungen Jahren zusammen mit seinem Bruder von den Eltern getrennt wurde. Die Kinder waren verwahrlost aufgefunden worden, der eine konnte kaum sprechen, der andere kaum laufen. Bei einer Adoptivfamilie fanden sie ein neues Zuhause.
Der Jüngere findet sein Ventil, das Laufen. Hartes Training führt zu immer besseren Resultaten und zum Höhepunkt: zum Sieg an einem der bedeutendsten Waffenläufen im Land. Kurze Zeit später nimmt sich sein Bruder, der ihn beim Waffenlauf auf dem Velo begleitet hat, das Leben. Und Mischa, im Film Jonas Widmer, gespielt von Max Hubacher, fällt in ein tiefes Loch. Das scheinbar gefestigte Sozialleben mit Adoptivmutter, Freundin und sicherer Stelle als Koch gerät ins Wanken.
Vom Taschendieb zum brutalen Mörder
Regisseur Hannes Baumgartner betont, dass der Film keine Dokumentation sei. «Es ist nicht alles so abgelaufen, wie es im Film dargestellt ist.» Die Tatsachen, auf denen die Geschichte beruhe, seien aber wahr. «Der Läufer» ist Baumgartners erstes Werk in Spielfilmlänge. Auf die Idee stiess er durch den Produzenten des Films, mit dem er studierte. «Er war auch ein begeisterter Läufer und stand teils an den selben Sportveranstaltungen am Start wie Mischa E.», erklärte Baumgartner dem Aristauer Publikum.
Viele Reaktionen in Bern und in der Ostschweiz
Läufer Jonas Widmer wird immer gewalttätiger. Sind es am Anfang Taschendiebstähle, wird es zur Würgeattacke und am Schluss zum Mord. In der wahren Geschichte von Mischa E. brachte sich dieser später in Untersuchungshaft um, bevor es zum Prozess kam. Im Film rennt der Läufer in den Wald, immer weiter, weg von der Realität, weg von den Taten. Dann ist der Film fertig, der Schluss bleibt offen. Regisseur Baumgartner erklärt: «Es sollte die Flucht zeigen, einen Einblick in die Psyche des Täters geben.»
Für die Recherche im Vorfeld der Filmarbeiten habe das Team Gespräche mit der Adoptivmutter von Mischa E. geführt. «Das war nicht einfach, ganz und gar nicht. Sie fragte sich Tausende Male, was sie hätte machen können, damit dies nicht passiert.» Auch im sportlichen und beruflichen Umfeld fragte Baumgartner nach. Hintergrundinformationen holte er auch bei jenem Psychologen, der ein Gutachten des Täters hätte schreiben sollen.
Vor allem in Bern, wo die Taten passierten, und in der Ostschweiz, wo der Täter herkam, löste «Der Läufer» viele Reaktionen aus. «Vielen Leuten ist die Geschichte noch sehr präsent.»
Herausforderung am Grand Prix Bern
Fröhliche Gesichter hinterliess der Film auch am Ende nicht. Viel zu verstörend waren nicht nur einzelne Bilder, sondern vor allem das Verfolgen der Psyche des Täters. Dazu trug auch Max Hubacher bei, der die Rolle fesselnd umsetzte. Vor allem körperlich sei die Rolle für den jungen Schweizer Schauspieler herausfordernd gewesen. «Er hat rund ein Jahr lang hart trainiert, damit sein Körper dem eines Ausdauerathleten gleicht», sagt Baumgartner.
Eine echte Herausforderung sei es gewesen, Schauspieler Hubacher am Grand Prix Bern unter die besten Läufer zu mischen. Hubacher musste dahingehend trainieren, das Tempo der Profis rund 500 Meter mithalten zu können. Dann gings auf den Töff und kurz vor dem Zieleinlauf wieder ins Feld der Läufer. Ein Lachen geht durch die Turnhalle. Es ist seit dem Beginn des Films eines der wenigen.
Der Verein Roadmovie
Schweizer Filme in die Dörfer bringen, die kein Kino haben. Das ist das Ziel des Vereins Roadmovie. Vor vier Jahren waren sie schon einmal in der Turnhalle in Aristau zu Gast. Nun machten sie dort ihren Tour-Auftakt. Mit dem Roadmovie-Bus geht es weiter in 36 Gemeinden, verteilt auf das ganze Land, wo Räumlichkeiten wie Turnhallen in Kinos umgewandelt werden. Dafür, dass dies gelingt, sorgte in Aristau auch die Kultur- und Freizeitkommission. Wie es sich für ein richtiges Kino gehört, schmissen sie eine Bar und verkauften Popcorn. Die Schüler dekorierten die Halle passend. --ake