Jahrhundertbau mit Jubiläum
30.08.2019 Verkehr25 Jahre Stadtumfahrung Bremgarten: Seit Oktober 1994 ist die Altstadt vom Verkehr entlastet
Es dauerte Jahrzehnte von ersten Ideen bis zur Realisierung. Die Umfahrung Bremgarten wurde schliesslich innerhalb von 65 Monaten gebaut.
André ...
25 Jahre Stadtumfahrung Bremgarten: Seit Oktober 1994 ist die Altstadt vom Verkehr entlastet
Es dauerte Jahrzehnte von ersten Ideen bis zur Realisierung. Die Umfahrung Bremgarten wurde schliesslich innerhalb von 65 Monaten gebaut.
André Widmer
Für jüngere Zeitgenossen ist es heute wohl kaum noch vorstellbar: Einst rollte eine Blechlawine durch die Altstadt von Bremgarten. In den Jahren vor der Realisierung der Umfahrung zählte man rund 23 000 motorisierte Fahrzeuge, die sich durch die enge Marktgasse zwängten. Bei der Holzbrücke über die Reuss kam es mehrmals dazu, dass Fahrzeuge an der Konstruktion festhingen.
Dem Bau der 2,8 Kilometer langen Umfahrung Bremgarten gingen Jahrzehnte mit Ideen, Konzepten, Planungen und politischen Ränkespielen voraus. Lange Zeit stand auch eine Brücke für den Strassenverkehr über die Reuss von der Oberebene zum Obertor zur Diskussion. Mit dem neuen Stadtrat nach den Wahlen 1981 kam dann endlich richtig Schub ins Projekt. Der Bremgarter Souverän jedenfalls hiess die dreiteilige Vorlage im November 1982 gut. Doch es dauerte dann nochmals fast 12 Jahre, bis am 18. Oktober 1994 die Umfahrung eröffnet werden konnte.
Mehr Ruhe, weniger Kundenfrequenz
Heute präsentiert sich die Altstadt von Bremgarten vom Zubringerdienst und wenigen Ausnahmen abgesehen frei vom motorisierten Verkehr. In der Innenstadt gibt es mehr Ruhe und weniger Abgase. Die geringere Frequentierung bedeutet für die ansässigen Ladengeschäfte, auch auf innovative Lösungen zu setzen. So wie beispielsweise Bäckermeister Robert Schwager. Dem damaligen beträchtlichen Einbruch von Kundenbesuchen im Ladenlokal begegnete er mit der Lancierung eines Znünibusses. Schwager setzt sich noch heute dafür ein, dass mit Angeboten des täglichen Bedarfes regelmässig Kundschaft in die Altstadt von Bremgarten kommt.
Mehr Ruhe, weniger Kunden
25 Jahre Stadtumfahrung: Bäcker Robert Schwager und Alt-Stadtammann Albert Seiler ziehen Fazit
Am 18. Oktober 1994 wurde die Umfahrung Bremgarten eröffnet. Das Innenstadtregime macht auch heute nicht alle rundum glücklich.
André Widmer
Seit einem Vierteljahrhundert ist die Bremgarter Altstadt nun also – mit Ausnahme von Spezialfällen – vom motorisierten Verkehr befreit. Wie in all den anderen Aargauer Städten, in denen diese Massnahme ergriffen wurde, ist auch Bremgarten nun mit den Vor- und Nachteilen dieses Regimes konfrontiert: Ein ruhigeres Leben in der Altstadt, aber auch weniger Frequenzen für etliche Gewerbetreibende.
Die Zeit vor der Umfahrung und jetzt miterlebt hat auch Robert Schwager. Er übernahm den Familienbetrieb, welcher seit 1952 besteht, in den 80er-Jahren vom Vater. Als der Durchgangsverkehr noch rollte, existierten fünf Parkplätze vor dem Geschäft des Bäckermeisters. Die Einkäufe der Pendler waren damals eine wichtige Einnahmequelle. Wer frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit noch ein Brötchen oder Sandwich wollte, der konnte noch spontan an der Marktgasse mit dem Auto stoppen. Etliche dieser Kunden kamen nach Eröffnung der Umfahrung nicht mehr. «Viele haben gesagt, heute bin ich das letzte Mal da», erinnert sich Schwager. Nach der Eröffnung der Umfahrung brach der Umsatz während der Woche um 40 Prozent, am Sonntag sogar um 75 Prozent ein. «Damals hatte es aber auch noch keine Tankstellenshops», gibt Schwager zu bedenken.
Innovative Lösung gefunden
Der Bäckermeister begab sich aber wegen dieser Entwicklung nicht einfach ins Jammertal, sondern setzte auf eine innovative Lösung, um die Einnahmenausfälle zu kompensieren: Er führte einen Znünibus, der von Firma zu Firma fährt, ein. Dort können die Mitarbeiter aus den backfrischen Artikeln auswählen. Mit anderen Worten: Das Produkt kommt zum Kunden und nicht der Kunde zum Produkt. Der Umsatz hat sich bei Schwager somit verlagert. Die Ausfälle konnten grösstenteils wettgemacht werden. Mitarbeiter musste Schwager keine entlassen. Heute beschäftigt er drei ausgelernte Angestellte und zwei Aushilfen, zudem sind er und seine Frau noch dabei.
Robert Schwager setzt sich auch heute noch dafür ein, dass die Kundschaft in die Marktgasse kommt. Wichtig scheint ihm insbesonders dabei, dass Produkte des täglichen Bedarfs in der Altstadt angeboten werden – wie dies er und auch die Metzgerei Stierli tun. Oder normalerweise der benachbarte Städtli-Märt, dessen Ladenlokal Schwager vermietet. Nachdem der Städtli-Märt schloss, ist nun eine Nachfolgelösung absehbar, die bereits ab Herbst gelten dürfte. Produkte des täglichen Bedarfs sollen ein wiederkehrendes Publikum anziehen und die Kundenfrequenz in der Altstadt erhöhen. Kritisch hingegen sieht Robert Schwager einen Aspekt des Verkehrsregimes für die in der Altstadt ansässigen Betriebe.
Zwar ist der Güterumschlag werktags bis um 14 Uhr überall erlaubt und in der Unterstadt der Zubringerdienst. Doch für die Reussbrücke gilt ein generelles Fahrverbot – möglich sind nur in Einzelfällen polizeiliche Ausnahmebewilligungen. Das bringt es mit sich, dass der Weg bei einer Warenlieferung von der Marktgasse beispielsweise ins Josefsheim hin und zurück über fünf Kilometer beträgt – ein Vielfaches der direkten Distanz, da es über die Umfahrung führt. «Und das heute, wo alle vom Umweltschutz reden», meint Schwager. Dass die Spitex eine Spezialbewilligung für die Fahrt über die Holzbrücke erhalte, nicht aber das Altstadtgewerbe, das kann er nicht nachvollziehen.
«Nur dank enormem Einsatz»
Der heute 81-jährige Albert Seiler war neben dem damaligen Stadtrat Hanspeter Lüscher einer der massgebenden Mitstreiter für die Umfahrung Bremgarten. Die Variante Umfahrung war für ihn die richtige Option. Denn wenn der Verkehr nicht gänzlich von der Altstadt ferngehalten werden würde, wäre jeder Franken verschwendetes Geld, stellte er schon zu Beginn der 80er-Jahre fest. Mit dem ab 1982 amtierenden, auf drei Positionen veränderten Stadtratsgremium zog man «am gleichen Strick». Weil Albert Seiler ab 1982 neuer Stadtammann und als Grossrat fast wöchentlich in Aarau war, fand ein intensiver Kontakt mit dem Baudepartement statt. Bei den Stadtratswahlen 1981 habe es so viele Umfahrungsvarianten wie Kandidaten für die Behörde gegeben. «Nur dank enormem Einsatz und Energie kann man so was zu einem Resultat führen», erzählt Albert Seiler. «Man musste jeden Tag die Fäden zusammenhalten.» Manchmal seien die Widerstände so gross gewesen, dass er fast nicht mehr daran geglaubt habe. «Bei der Eröffnung habe ich gesagt, dass bei dieser Regeldichte des Staates ein Vorhaben von dieser Grösse fast nicht machbar ist.» Albert Seilers Worte in der Broschüre zur Eröffnung 1994 verdeutlichen den langen Weg und die Mühsal. «Die Demokratie ist ein träges und umständliches Instrument, zumal dann, wenn es um Ideen und Vorhaben von beachtlicher Tragweite geht. Die Stadtumfahrung Bremgarten ist ein solches Beispiel, und der Werdegang bis zum heutigen Tag macht dies deutlich.» Viel Zeit habe damals auch die Umsetzung des Innenstadtregimes in Anspruch genommen. Der Weg dorthin sei zeitweise mühsam gewesen. Und ganz zu Beginn, als die Altstadt dann verkehrsentlastet war, wurde eine Barriere installiert. Wer mit dem Auto in die Altstadt wollte, zog ein Ticket für 30 Minuten Aufenthalt. Aber bereits nach wenigen Wochen wurde die Elektronik der Anlage mutwillig von einem Unbekannten mit einer Schusswaffe zerstört, erinnert sich Albert Seiler. Die Anlage wurde nicht ersetzt.
Auch für Alt-Stadtammann Albert Seiler war es klar, dass das neue Verkehrsregime für die Altstadtgeschäfte eine Herausforderung würde. «Das ist nicht einfach, sogar schwer. Umso mehr Einsatz ist erforderlich.» Das Ziel sei gewesen, ein besseres Leben in der Stadt zu ermöglichen – und die Reduktion der Abgase.
Ein gesünderes Leben in der Bremgarter Altstadt – das ist zweifellos gelungen.
Ein langer Weg bis ans Ziel
25 Jahre Stadtumfahrung: Am 18. Oktober 1994 wurde die Umfahrung Bremgarten in Betrieb genommen
Vom Ja der Bremgarter 1982 bis zur Einweihung vergingen 12 Jahre. Es stand zunächst fast ein Dutzend Varianten zur Diskussion.
André Widmer
Ältere Stadteinwohner erinnern sich noch daran. Filmaufnahmen und Fotos von früher bezeugen es: Bis vor rund einem Vierteljahrhundert rollte noch eine «Blechlawine» durch die Altstadt Bremgartens. Der motorisierte Individualverkehr nahm zu und sorgte zusehends dafür, dass das Verkehrsauf kommen durch das Städtli auch für heutige Verhältnisse massive Ausmasse annahm. Denn rund 23 000 Fahrzeuge pro Tag wurden damals gezählt.
Klar, dass etwas passieren und die Altstadt entlastet werden musste. Dabei war bereits in den 40er-Jahren erstmals von einer Verkehrssanierung Bremgarten die Rede – ob der Verkehr damals schon störte oder ob es sich doch eher um eine ökonomische Massnahme nach dem Zweiten Weltkrieg handelte, ist dabei nicht ganz klar.
Brücke zum Obertor?
In der zur Einweihung veröffentlichten Broschüre «Verkehrssanierung Bremgarten – Umfahrungseröffnung 1994» jedenfalls wurde eine Studie genannt, die einen zweiten Reussübergang parallel zur Bahnbrücke und beim heutigen Bahnhof die Zürcherstrasse erreichend schildert. In den 60er-Jahren kam neben einer Umfahrungsvariante nördlich um die Fohlenweide auch eine Option südlich um Zufikon hinzu.
Das Projekt Verbindung Oberebene über die Reuss zum Obertorplatz taucht dabei mehr als einmal im Laufe der Zeit in den Überlegungen auf. So prüfte im Auftrag des Kantons das Ingenieurbüro Lüthi und Häfliger eine Strassenverbindung von der Oberebene zum Obertorplatz. Sie hätte ab der linken Reusstalstrasse am Bahnhof West vorbei und dann über eine Hochbrücke zum Obertorplatz geführt. Dieses Projekt lag bereits 1970 vor. Mit vier vorgesehenen Brücken – neben der Bahnbrücke die Verbindungsstrasse und zwei Auffahrtsrampen – war jenes Projekt gross dimensioniert.
Eine Reihe von Varianten
Noch 1978 vertraten Stadt und Kommission eine daran angelehnte Lösung unter dem Stichwort «Kerntangente». Der Kanton wiederum sah die Lösung auch in der Nordumfahrung via Eichwald, durch die Kulturlandebene südlich von Eggenwil zur Badenerstrasse (rund 500 Meter nördlicher der heutigen Linienführung). Dann kamen weitere Vorschläge hinzu: So zum Beispiel Linienführungen durch die Reussschlaufe links und rechts der Friedhofstrasse mit abschliessender Abzweigung in die Zürcherstrasse. Oder der Reuss entlang, dann links an der heutigen ARA Kesselboden vorbei. Etwa neun Lösungsansätze bestanden.
Volk mit klaren Entscheiden
Am 27. März 1980 fiel der Entscheid der Bremgarter Stimmbürger an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung gegen die Kerntangente (211 Ja zu 433 Nein), aber für die Umfahrung (430 Ja zu 202 Nein). Immerhin war damit auch klar, dass es zu einer grossräumigen Entlastung kommen würde. Nun ging es noch um den Zeitpunkt. Bei einer Besprechung äusserte der damalige Regierungsrat Jörg Usprung seine Vermutung, dass es die Umfahrung wohl aufgrund von zu wenig fortgeschrittener Vorarbeiten kaum in den Fünfjahres-Strassenrichtplan des Kantons Aargau schaffen würde. Doch der aus Bremgarten stammende CVP-Grossrat Albert Seiler wies darauf hin, dass es sich nicht nur um eine lokale Frage handle – dies auch aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Querverbindung Bünztal–Reusstal–Mutschellen nach Zürich.
Im Juni 1981 lehnte die Bremgarter Gemeindeversammlung einen vom Stadtrat beantragten 4,5-Mio.-Kredit für den Ausbau Bibenlos ab. Eine Umfahrungslösung war darin nicht enthalten. Aber schon an der darauf folgenden Winter-«Gmeind» bewilligten die Stimmbürger den Projektierungskredit für eine Umfahrung.
Ein deutliches Ja
An der entscheidenden Gemeindeversammlung vom 18. November 1982 nahmen schliesslich 870 Personen teil. Die dreiteilige Vorlage wurde angenommen: rund 7,5 Millionen Franken für die Umfahrung, rund 2,9 Millionen Franken für die Spange Oberebene und das Konzept «verkehrsarme Altstadt». Der Anteil des Kantons Aargau beträgt 32,6 Millionen Franken. Das Ja der Kantonsregierung erfolgt 1983, dasjenige des Grossen Rats 1984.
Im Rahmen des Baugesuchsverfahrens gab es Einsprachen, wobei neben Personen mit Partikularinteressen auch Naturschützer Einwände hatten.
Beeindruckende Dimensionen
Die Bauarbeiten dauerten 65 Monate. Denn sie sind umfangreich: Die Umfahrung mit zwei Tunnels und einer Brücke über die Reuss, diverse Anschlüsse und Stützmauern sowie Unterführungen waren zu bauen. Das Planungs- und Bauteam hatte beachtliche Dimensionen. So waren fünf öffentliche Bauherrschaften, 30 Planungs- und Ingenieurbüros, 20 Bauunternehmen und 45 Spezialfirmen im Grossprojekt involviert. Der Baustart erfolgte im Juni 1989 (also fünf Jahre nach dem Ja des grossen Rates und sieben Jahre nach dem Ja der Bremgarter) und dauerten bis 1994. Erst rund einen Monat vor der Einweihung wurden die letzten Deckbeläge aufgetragen.
Die Grösse der Umfahrung und die Menge der verbauten Materialien sind beeindruckend: Die Länge der Umfahrung beträgt 2,8 Kilometer; es mussten 4,9 Hektaren Land erworben werden. Die erforderliche Rodungsund Aufforstungsfläche betrug 10,8 Hektaren. Für die Reussbrücke Struss wurden 4500 Kubikmeter Beton verbaut, 630 Meter Bohrpfähle und 450 Tonnen Armierung benötigt. 445 000 Kubikmeter Material wurde ausgehoben.