Einen Leichenwagen im Keller
20.08.2019 MuseumStaffeln: Jürg Dutly sammelt seit über 50 Jahren – jetzt hat er sein eigenes Museum
Im Emmental hat sich Jürg Dutly sein eigenes Museum geschaffen. Regelmässig fährt er von Staffeln aus dorthin, um an seiner Sammlung zu arbeiten. ...
Staffeln: Jürg Dutly sammelt seit über 50 Jahren – jetzt hat er sein eigenes Museum
Im Emmental hat sich Jürg Dutly sein eigenes Museum geschaffen. Regelmässig fährt er von Staffeln aus dorthin, um an seiner Sammlung zu arbeiten.
Chantal Gisler
Man könnte bestimmt einige Male durch das Haus laufen und würde immer wieder Neues entdecken. An der Decke hängen Räder von Velos. Im hinteren Teil ist ein Schlafzimmer eingerichtet, das aus Grimms Märchen stammen könnte. Sogar ein Polyphon hat hier seinen Platz gefunden. Alles ist liebevoll dekoriert, alles hat seinen Platz. Und: Als Besucher darf man alles anfassen. Denn das ist kein gewöhnliches Häuschen im Emmental. Es ist das «Heimeli» von Jürg Dutly. «Mein Museum», sagt der Mann mit dem weissen Bart und der roten Latzhose.
Denn Jürg Dutly ist nicht nur Künstler, er ist Sammler. Seit über 50 Jahren sammelt er alles, was irgendwie mit Technik zu tun hat. 22 Jahre lebte er in Hägglingen, seit einiger Zeit wohnt er in Staffeln. «Das Einzige, was ich nicht sammle, sind Kafferahmdeckel und Briefmarken», sagt Dutly lachend. Doch hier wurde es allmählich zu eng. «Ich habe mich umgeschaut und dieses 300 Jahre alte Bauernhaus gefunden», so Dutly. Für ihn war klar: Er musste es haben. «Das hier», sagt er und deutet auf den Innenbereich, «war mal ein grosser Stall.»
Alles ein wenig anders
Bis vor einigen Jahren war das Haus im Emmental bewohnt. Zusammen mit Künstler Samuel Peyer hat er das geschichtsträchtige Bauernhaus dekoriert und zu seinem Museum gemacht. Auch das Gebäude nebenan gehört den Künstlern. Im Keller steht ein originaler Leichenwagen von Eriswil aus dem 18. Jahrhundert. «Vor etwa 50 Jahre wurde er in Basel verkauft. Ich konnte ihn vor einigen Jahren zurückkaufen», sagt Dutly. Der Freiämter bezeichnet sich selbst als «Wahl-Emmentaler». Für ihn ist klar: «Wenn ich pensioniert bin, komme ich noch öfter hierher.» Das Emmental ist für ihn der «Place-to-be». «Hier läuft alles ein wenig anders», so Dutly. Stau kennt man hier kaum. Dafür aber jeden Nachbarn im Ort. Ganz wird er das Freiamt aber nie verlassen können. «Ich habe hier zu viele Freunde, die ich vermissen würde.»
Sein schleichender Friedhof
Jürg Dutly sammelt seit über 50 Jahren – mittlerweile hat er sein eigenes Museum
Die Idylle im Emmental zieht Jürg Dutly magisch an. Er weiss: Wenn er pensioniert wird, zieht er ganz dorthin. Und wird an seiner grossen Sammlung weiterarbeiten.
Chantal Gisler
Es wirkt, als wäre die Zeit stehen geblieben. Betritt man das Bauernhaus im Emmental, fallen einem als Erstes die Fahrräder auf. Zwei stehen auf einem Balken über den Köpfen der Besucher. Ein Stück weiter links hängen einzelne Räder von der Decke. Am Boden liegen in Kisten fein säuberlich sortiert die restlichen Teile der Velos.
«Ich könnte hier mindestens ein Fahrrad neu zusammenbauen», erklärt Jürg Dutly stolz. Sein Lächeln ist unter seinem weissen Bart nicht zu erkennen, aber man hört es in seiner Stimme. Mit der roten Latzhose erinnert er ein bisschen an den Samichlaus. Darauf angesprochen erklärt das selbsternannte Original: «Ich bin eben ich.»
Jürg Dutly ist Sammler. Seit über fünfzig Jahren sammelt er alles, was irgendetwas mit Technik zu tun hat. «Es fasziniert mich, wie die Dinge damals funktioniert haben», erklärt der 61-Jährige. Er zeigt auf die Kaffeebohnenrösterei, die mitten im Raum neben dem grossen Tisch steht. Die Kugel mit dem Hebel, der daran befestigt ist, erinnert an einen Globus. «Die wurde in den 1930er-Jahren genutzt», weiss Dutly. «Ich habe sie gesehen und wusste, die muss ich haben.» Im kleinen Haus nebenan steht ein Leichenwagen aus den 50er-Jahren. Seine ältesten Schätze stammen aus dem 18. Jahrhundert.
Nicht fragen, einfach machen
Seit einigen Wochen lebt Dutly in Staffeln. Vorher wohnte er über 20 Jahre in Hägglingen. In der Region ist er als der Künstler bekannt, der einmal aus Protest ein Kunstwerk vor das Hägglinger Gemeindehaus gestellt hat. Oder der mit einer Glockenvorrichtung die Fricktaler Aktivistin Nancy Holten ärgern wollte. Dutly lacht, wenn er daran zurückdenkt. «Ich machs halt einfach.» Um Erlaubnis fragen, das tut er nicht. Oder zumindest selten. Doch was zieht den Freiämter ins Emmental? «Es ist ganz anders hier, viel ruhiger», erklärt Dutly. «Es gibt keine Hektik, keinen Stau. Es ist, als würden die Uhren hier noch anders laufen.» Er selbst bezeichnet sich als «Wahl-Emmentaler». Für ihn ist klar: «Wenn ich pensioniert werde, komme ich hierher.» Doch ganz verlassen wird er das Freiamt nicht. «Ich kenne da viel zu viele Leute. Ich denke, ein bis zweimal im Monat werde ich ins Freiamt kommen.» In seinem Museum ist jeder willkommen. «Man darf die Sachen auch anfassen. Es soll ein Erlebnis sein», so Dutly. Ist ihm da noch nie etwas gestohlen worden? «Doch, leider. Eine Armbanduhr, aber die Verpackung hat der Dieb vergessen.»
Jedes Stück hat seinen Platz
Manchmal fährt er mit seinem roten Van von Brockenstube zu Brockenstube. «Da kommt so einiges zusammen», sagt Künstler Samuel Peyer. «Es kommt selten vor, dass er mit leeren Händen nach Hause kommt.» Peyer hat sich im Bauernhaus sein Atelier eingerichtet. Er ist es auch, der im Museum für Ordnung sorgt. Jedes Stück hat seinen Platz. Wenn nicht hier im Bauernhaus, dann bei Dutly zu Hause oder in einem gemieteten Lager. Die beiden kennen sich seit einigen Jahren, sind gute Freunde. Ihre Kunst ähnelt sich: Bei Dutly kann man mehrmals durchs Haus gehen und immer wieder Neues entdecken. So auch in den Bildern von Samuel Peyer. «Diese Faszination fürs Detail verbindet uns», sind sich beide sicher. «Dieses Gebäude ist die letzte Ruhestätte für viele Maschinen. Ein schleichender Friedhof sozusagen», meint Peyer. Wenn die beiden einmal nicht mehr sind, soll nichts in diesem Haus angefasst werden. Doch bis es so weit ist, haben sie noch viel vor: Im Frühjahr haben sie im Haus nebenan eine Schuhmacherei eingerichtet. «So, wie es früher war.»