Den gemeinsamen Traum gelebt
30.08.2019 Boswil31 Jahre leiteten Stefan und Rita Gerschwiler das Solino in Boswil – nun gehen sie in Pension
Am 1. September 1988 übernahmen Stefan und Rita Gerschwiler die Leitung des Altersheims St. Martin in Boswil. Heute heisst die Institution Solino. Um ganze zwei Drittel ...
31 Jahre leiteten Stefan und Rita Gerschwiler das Solino in Boswil – nun gehen sie in Pension
Am 1. September 1988 übernahmen Stefan und Rita Gerschwiler die Leitung des Altersheims St. Martin in Boswil. Heute heisst die Institution Solino. Um ganze zwei Drittel ist die Zahl der Mitarbeitenden in den gut drei Jahrzehnten angestiegen. «Vieles hat sich verändert», sagen sie.
Annemarie Keusch
Stefan Gerschwiler hat die Tour fast hinter sich. In allen 51 Zimmern der Bewohnerinnen und Bewohnern hat er vorbeigeschaut. Allen die Hand gereicht, sich verabschiedet. «Manchmal blieb ich bis zu einer halben Stunde», sagt er und lacht. Auch Rita Gerschwiler macht diese Tour, so wie sie es zur Begrüssung vor 31 Jahren machten. Am Mittwoch dann folgt die offizielle Verabschiedung. Mit Bewohnern, Angehörigen, Mitarbeitenden, zuweisenden Ärzten, «mit allen Involvierten». «Den Schlüssel geben wir schon am Morgen ab», meint Stefan Gerschwiler schmunzelnd.
Noch wenige Tage bleiben also. Die Vorfreude bei den beiden auf die Pension ist gross. «Lange waren es gemischte Gefühle, aber jetzt freue ich mich», sagt Stefan Gerschwiler. Die Verantwortung abzugeben, keinen Druck mehr zu spüren, nicht mehr der Motor sein zu müssen, darauf freut er sich. Auch seine Frau blickt zuversichtlich in die Zukunft, «auch wenn das weinende Auge natürlich auch da ist». Mehr Zeit mit den fünf Enkelkindern zu verbringen, mehr zu wandern, mehr zu reisen – für ihre frei werdende Zeit haben die beiden viele Ideen. «Wir haben auch einige Projekte im Kopf im Bereich der Freiwilligenarbeit. Konkret ist aber noch nichts», sagt Stefan Gerschwiler. Konkret ist hingegen, dass sie verreisen. Ein zweimonatiger Trip durch Neuseeland steht im Oktober an.
Eigentlich nicht weiter als Zürich
Rita und Stefan Gerschwiler waren jung, als sie 1988 nach Boswil kamen. 33- respektive 32-jährig. Mit drei kleinen Kindern, das jüngste war knapp eineinhalb Jahre alt, zügelten sie von der Ostschweiz ins Freiamt. «Dabei wollten wir keinesfalls weiter weg als nach Zürich», gestehen sie heute. Gepasst hat es in Boswil nicht auf den ersten Blick. «Das würfelförmige Gebäude sagte uns nicht zu.» Gepasst hat es aber menschlich, vor allem mit dem damaligen Vereinspräsidenten Paul Fischer. «Es hat gefunkt und wir sagten zu», erinnert sich Rita Gerschwiler.
Für die beiden war es ein Traum, gemeinsam die Leitung eines Altersheimes zu übernehmen. Kam hinzu, dass Rita Gerschwiler in Boswil mit einem tiefen Arbeitspensum einsteigen konnte. «Das war an anderen Orten eine grosse Hürde.» Als gelernte Kinderkrankenschwester engagierte sich Rita Gerschwiler in der Pflege, ihr Mann übernahm die Leitung. Berufserfahrung sammelte er vorher in einer Institution für Wiedereingliederung von psychisch Kranken. «Unsere Berufe zu verbinden, das war unser grosses Ziel», sagt Stefan Gerschwiler, der anfangs Elektriker gelernt hatte.
Alters- wurde zum Pflegeheim
20 ihrer 31 Jahre als Heimleiter haben Rita und Stefan Gerschwiler mit ihren Kindern im Anbau des Altersheims gelebt. «Als die Kinder noch zur Schule gingen, war das schön», sagt Rita Gerschwiler. Aber es habe auch negative Seiten gehabt. Richtig Abstand gewannen sie auch nach Feierabend oder an freien Tagen nicht. Vor zehn Jahren, als der Anbau erneuert wurde, zogen sie weg, Luftlinie nur wenige hundert Meter. «Wir mussten uns irgendwie abgrenzen.»
In den 31 Jahren im Solino hat sich einiges verändert, nur schon baulicher Natur. 1995 wurden der Bau der 22 Alterswohnungen und die Erweiterung mit grösserem Café und grösserer Kirche realisiert. Und zwischen 2010 und 2014 wurde das gesamte Gebäude saniert. Hinzu kamen viele organisatorische Veränderungen. «Das Altersheim wurde zum Pflegeheim», verdeutlichen sie. Während ganz am Anfang Leute bei ihnen wohnten, die kaum Pflegebedarf hatten, wandelte sich dies massiv. Die Pensionäre bleiben viel länger zu Hause und treten immer später in Heime ein. Mittlerweile können sie auch im Solino bleiben bis zum Lebensende. «Früher lebten die Bewohner bis zu zehn Jahre bei uns, heute sind es durchschnittlich eineinhalb Jahre.» Gestiegen ist im Gegenzug die Zahl der Mitarbeitenden. Aktuell sind es 38 Vollzeitstellen verteilt auf 58 Mitarbeitende – bei ihrem Stellenantritt war es ein Drittel davon.
Vom Coupe bis zu Semino Rossi
Gleich wie am Anfang ist fast nichts mehr. Auch der bürokratische Aufwand und die politischen Gegebenheiten sind komplexer geworden. «Anders ist auch, dass der Alltag viel mehr von Aktivitäten für die Bewohner geprägt ist», sagt Rita Gerschwiler, die deren Organisation jeweils übernahm. Allgemein gelte: Bewohner, Angehörige und Mitarbeitende seien fordernder geworden. «Das ist aber keinesfalls nur schlecht.»
Von Highlights zu sprechen, das fällt den beiden schwer. Es seien die täglichen Begegnungen. Oder die Projekte, die sie sich dank eines zweckgebundenen Legates alle zwei Jahre leisten konnten. «Wünsch dir was», «uf und devo» oder «zäme unterwegs» hiessen sie. Jedem Bewohner und jeder Bewohnerin wurde ein Wunsch erfüllt. Vom Coupe im «Sternen» über Semino Rossi im Hallenstadion bis zum Besuch der Schwester in Schaffhausen.
Keine Rückkehr in die Ostschweiz
Sie mögen die Arbeit im Solino. Über all die Jahre war das so. «Es gab nie einen Tag, an dem wir nicht gerne arbeiteten.» Es sei der Umgang mit den Menschen, der es ausmache. Hinzu komme die Vielseitigkeit, die es in einer kleinen Institution im Vergleich zu einer grossen gebe.
Das Solino ist den Gerschwilers ans Herz gewachsen. Die Bewohner, die Mitarbeitenden, das Umfeld. Auch in Boswil fühlen sich die beiden wohl, wenn auch nach all den Jahren nicht ganz angekommen. «Der Ostschweizer Dialekt bleibt eben.» Trotzdem, nach der Pension bleiben sie im Freiamt. «Unsere zwei Töchter leben in der Nähe, der Sohn in Basel. In die Ostschweiz zieht es uns nicht zurück.»