Die Hexe auf dem Besen
23.07.2019 BremgartenHexenverbrennungen im Freiamt (Teil 4): Ein Fall aus Bremgarten
Hexen, die auf einem Besen umherfliegen – das gilt heute als Märchen. Im späten Mittelalter war das anders. Hier glaubte man, dass Hexen zu allem fähig seien. Anna Maria Schwarz gab sogar ...
Hexenverbrennungen im Freiamt (Teil 4): Ein Fall aus Bremgarten
Hexen, die auf einem Besen umherfliegen – das gilt heute als Märchen. Im späten Mittelalter war das anders. Hier glaubte man, dass Hexen zu allem fähig seien. Anna Maria Schwarz gab sogar zu, dass sie über die Dächer von Bremgarten geflogen sei und dabei eine Bruchlandung hinlegte.
Chantal Gisler
Wie ist Anna Maria Schwarz über die Mauern des Kapuzinerklosters gekommen? Das muss sich der Geistliche gefragt haben. Es ist schon nach Mitternacht. Ohne Schuhe steht die Frau vor ihm. Nur leicht bekleidet. Und kann nicht mehr aus dem Anwesen raus. Verwirrt öffnet der Geistliche ihr das Tor. Anna Maria Schwarz huscht hinaus und läuft zur Holzbrücke. Dort klemmt sie sich ihren Stock zwischen die Beine und fliegt davon. So, wie sie vom Bremgarter Spital schon zum Kloster geflogen war. Wo sie abstürzte, weil ihr Stock plötzlich nicht mehr fliegen konnte. Denn die Macht des Teufels endet über dem Haus Gottes. Nur so können es sich die Geistlichen damals erklären. Das Kloster wurde 1841 aufgehoben und gehört heute zur St. Josef-Stiftung.
Immer wieder sei Anna Maria Schwarz der Teufel begegnet. Immer soll er dabei grüne Kleidung getragen haben. Er habe sie verführt, mit ihr getanzt und gegessen. Mehrmals wird erwähnt, dass sie auch mit ihm geschlafen haben soll. Und er habe ihr befohlen, Menschen und Tiere durch Salben, Berührungen oder Samen zu vergiften. Insgesamt drei Mal kommt sie dieser Bitte nach. Zwei Kühe soll sie durch vergiftete Samen getötet haben.
Die zwei Gespielinnen
Klar ist: Anna Maria Schwarz wurde gefoltert. Um nicht noch einmal geschlagen zu werden, verrät sie die beiden «Gespielinnen» des Teufels. Barbara Notz, ebenfalls eine Bewohnerin des Spitals. Mit dem anderen «Gspänli» sei sie ins Kapuziner-Kloster gegangen. Die Frau sei eine Bettlerin gewesen. Ohne Mann und Kind. Barbel Schwarzin hiess sie. Sie sei ein «dick gewachsenes Weib» mit Buckel, habe einen schlimmen Fuss und einen kraftlosen Arm. Am Nacken prange eine grosse Warze, daran würden sogar Haare wachsen. Dazu trage sie einen «bösen» Hut. Akkurater könnte man eine Hexe kaum beschreiben.
Schon damals glaubten die Menschen an solche Klischees. Besondere Merkmale wie Warzen oder Muttermale, ein Buckel oder gar eine grosse Nase wurden oft als Zeichen des Teufels interpretiert.
Lähmung als Werk des Teufels
Die Akten lassen viel zum Leben von Anna Maria Schwarz offen. Wie alt sie bei ihrer Verhaftung war, lässt sich nicht sagen. Sie war eine Bewohnerin des Spitals in Bremgarten. Vermutlich wegen der Lähmung ihres rechten Armes. Dies, so erklären die Ermittler, muss das Werk des Teufels sein: Als er ihr zum ersten Mal erschien, soll er sie am rechten Arm gepackt und so die Lähmung verursacht haben.
«Das Spital war eine Art Asyl für Kranke und Arme, gelegentlich auch für begüterte Alte», erklärt der Bremgarter Historiker Fridolin Kurmann. Vielleicht hatten die Ermittler wegen ihrem grosszügigen Geständnis Erbarmen mit ihr. Am Freitag, dem 5. Juni 1654, wird Anna Maria Schwarz zu ihrem Henker geführt. Mit seinem Schwert holt er aus und schlägt ihr den Kopf ab. Danach werden ihre sterblichen Überreste verbrannt. Sodass nichts mehr von der fliegenden Hexe übrig bleibt.
Die Informationen zu diesem Fall stammen aus dem Turmbuch im Stadtarchiv Bremgarten. Der Historiker Fridolin Kurmann hat diese alten Schriften für diese Zeitung transkribiert.
Woher hat der Hexenturm seinen Namen?
Legenden zufolge wurden dort Hexen gefangen gehalten
Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, der Hexenturm hat seinen Namen nicht, weil dort ausschliesslich Hexen eingesperrt worden sind. Das ist eine weit verbreitete Legende. Der Turm wurde etwa im 14. Jahrhundert erbaut. 1415 wird er zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Damals noch unter dem Namen Himmelrych- oder Fimmisturm. Der Turm selbst ist 22 Meter hoch. Das Dach, das mit seiner Spitze an einen Hexenhut erinnert, ist 17 Meter hoch. Und genau von diesem hat der Hexenturm seinen Übernamen erhalten, der sich mittlerweile etabliert hat.
Doch: Wenn im Turm keine Hexen gefoltert wurden, wozu wurde er gebaut? Der Hexenturm gehörte zur Ringmauer rund um Bremgarten. Die Mauer ragte bis zum zweiten Geschoss, wo sich damals der «offizielle» Eingang befand. Das Tor im Erdgeschoss wurde erst später gebaut.
Als Kerker genutzt
Doch in jeder Legende steckt auch ein Fünkchen Wahrheit: Der Hexenturm wurde im Mittelalter als Kerker benutzt. Noch heute ist im Kerkeraufzug die Seilwinde zu sehen. Dort wurden Gefangene – darunter angebliche Hexen – eingesperrt. Durch das viereckige Loch im Boden wurden die Gefangenen in das rund acht Meter tiefe Verlies versenkt.
Die Stadt Bremgarten verfügte damals über mehrere Gefängnisse, darunter im Platzturm, einem nicht mehr lokalisierbaren Gebäude Hasenberg und im Taubhüsli. Auch der Spittelturm war ursprünglich ein Gefängnis. Eine Haftzeit im Turm bedeutete für die Gefangenen körperliche Strapazen. Aber auch die Stadt hatte einen Aufwand. Schliesslich mussten Wächter und eine Taxe bezahlt werden. Dass diese bei vermögenden Personen ausgenutzt wurde, ist am Fall von Katharina Hartmann aus Oberwil zu sehen (siehe Ausgabe vom 16. Juli). Dort hatten es sich die Wächter auf ihre Kosten gut gehen lassen, weshalb sie von der Stadt Zürich gerügt wurden. Hexenprozesse waren für die Stadt auch lukrativ, da bei einer Verurteilung das gesamte Hab und Gut der Person in Besitz der Stadt kam. --chg



