Der Kreis schliesst sich
30.07.2019 MutschellenSommerserie «Zwillinge im Freiamt»: Annelies Brem und Trudi Gehrig, Widen und Berikon
Nachbarn und Eltern haben sie nur «die Zwillinge» genannt. Nach der Schule haben sich die Wege von Annelies und Trudi Jorde getrennt. Nun leben sie wieder nahe ...
Sommerserie «Zwillinge im Freiamt»: Annelies Brem und Trudi Gehrig, Widen und Berikon
Nachbarn und Eltern haben sie nur «die Zwillinge» genannt. Nach der Schule haben sich die Wege von Annelies und Trudi Jorde getrennt. Nun leben sie wieder nahe beieinander auf dem Mutschellen und unternehmen sehr viel gemeinsam.
Erika Obrist
Der Sitzplatz beim Tankstellenshop im Reppischhof wirkt einladend – aber die Sonne brennt unbarmherzig darauf herab. «Es gibt noch einen Sonnenschirm im Lager», weiss Annelies Brem. Sie geht in den Shop, in dem sie seit 18 Jahren mit einem Teilzeitpensum arbeitet. Ihre Zwillingsschwester Trudi Gehrig ist hier sogar seit 20 Jahren tätig. Ebenfalls in einem Teilzeitpensum. Annelies Brem verschwindet im Lagerraum und taucht kurz darauf mit dem schützenden Sonnendach wieder auf. Dieses ist rasch montiert. Der einladende Sitzplatz wird zu einem lauschigen.
Mitgebracht zum Treffen haben sie ein Foto aus der Kindheit. Es zeigt zwei kleine Mädchen in Hosenanzügen und mit Kopfbedeckung. Eines hält die Hand vor den Mund. «Das bin ich», sagt Annelies Brem nach einigem Nachdenken. Sie sei als Kind eher zurückhaltend, fast scheu gewesen. «Meine Schwester hat vielfach den Clown gespielt vor anderen Leuten.»
Zweite Garnitur lag bereit
Auf die Welt gekommen sind Annelies und Trudi Jorde am 29. November 1955 in Dietikon. Einen Monat zu früh. Es war eine Hausgeburt, wie es damals üblich war. Der Arzt hatte den Eltern Jorde ein Kind vorausgesagt. «Unsere Mutter war jedoch immer der Ansicht, dass es zwei sein werden», erinnern sich die Schwestern. Annelies kam in den frühen Morgenstunden zuerst auf die Welt. «Dann hat die Hebamme unserer Mutter gesagt, dass noch ein zweites Kind kommen wird.» Die Mutter habe nur auf den Nachttisch gezeigt und gesagt: «Da drin liegt eine zweite Garnitur Kleider bereit.»
Als Kind waren die Zwillingsschwestern unzertrennlich. Sie wurden von allen nur «die Zwillinge» gerufen – sogar von den Eltern. «Weil wir stets beide angerannt kamen, wenn die Mutter oder der Vater eines von uns gerufen hat», erinnern sie sich.
Getrennt haben sich die Wege der Zwillinge nach dem Ende der Schulzeit. Der Vater war gestorben, als sie 14 Jahre alt waren. Trudi Jorde suchte sich eine Stelle im Gastgewerbe, Annelies Jorde führte daheim den Haushalt, «weil die Mutter Tag und Nacht arbeitete, um die grosse Familie durchzubringen», wie sie sagt. Zehn Kinder waren es letztlich geworden.
20-jährig hat Trudi Jorde ihren Mann Peter Gehrig kennengelernt. Mit ihm reiste sie erst durch die USA, dann lebten sie in St. Gallen; 1985 sind sie nach Berikon gezogen. «Weil ich Sehnsucht nach meiner Zwillingsschwester hatte.»
Gleiche Operationen
Diese wohnte seit der Heirat im Jahr 1979 mit Peter Brem in Rudolfstetten. Später ist das Paar nach Widen gezogen. Annelies Brem hat vier Kinder, ihre Schwester blieb kinderlos. «Ihre Kinder sind auch meine Kinder», sagt Trudi Gehrig. Dass ihre Ehemänner den gleichen Vornamen haben? Zufall. Dass der erste Enkel in der Familie ebenfalls an einem 29. November und ebenfalls zu früh auf die Welt gekommen ist? Auch Zufall.
Nicht als Zufall tun beide die enge Verbundenheit ab. Beide wurden am Blinddarm operiert, beiden wurden die Mandeln entfernt, bei beiden wurde der graue Star diagnostiziert und operiert. «War eine von uns als Kind nach einem Sturz im Spital, so hat die andere daheim an Phantomschmerzen gelitten», erinnert sich Trudi Gehrig.
Sei seien keine eineiigen Zwillinge, versichern beide. Trotzdem sei die Verbundenheit stark ausgeprägt. «Auch als wir weit entfernt voneinander wohnten, haben wir beispielsweise dieselben Geschenke zu Weihnachten gekauft», lachen beide. Unabhängig voneinander.
Charakterlich unterscheiden sich die Zwillingsschwestern schon etwas. «Ich bin leicht chaotisch und sammle alles», gesteht Annelies Brem. Trudi Gehrig kennt diesen Sammeltrieb nicht. «Kleider, die ich ein Jahr nicht getragen habe, kommen weg», zeigt sie einen Unterschied auf.
Wieder zusammenziehen
Seit «die Zwillinge» wieder nahe beieinander wohnen – kaum fünf Gehminuten voneinander entfernt, aber in zwei verschiedenen Gemeinden –, ist die Bindung noch enger geworden. Auch weil der Mann von Trudi Gehrig vor neun Jahren gestorben ist. Eben waren sie gemeinsam in den Ferien. «Wir unternehmen fast alles miteinander: einkaufen, Kinder hüten, die Spiele des FC Mutschellen auf der Burkertsmatt anschauen», zählt Trudi Gehrig auf. «Jetzt sind wir auf der Suche nach einer grossen Wohnung, weil wir zusammenziehen wollen», ergänzt Annelies Brem. Sie, ihr Mann und ihre Zwillingsschwester.
Auch Stammkunden verwechseln sie hin und wieder
Während des Gesprächs gehen immer wieder Leute am Sitzplatz vorbei und grüssen. «Stammkunden», erklären die Schwestern. «Nicht alle können uns auseinanderhalten», lachen sie. Einmal habe ein Kunde sein Bedauern ausgedrückt, dass sie von frühmorgens bis spätabends arbeiten müsse, erzählt Trudi Gehrig. «Dabei war ich am Abend im Shop und Annelies am Morgen.» Auch die Arbeitskolleginnen hätten mitunter Mühe, sie zu unterscheiden. Dabei ist das doch ganz einfach – jedenfalls als Trudi Gehrig am Schluss des Gesprächs ihre Sonnenbrille aufsetzt und Annelies Brem nicht.