AUSTAUSCHJAHR
17.05.2019 PolitikDas Herz schlägt für zwei Länder
Patricia Obrist, England.
Neben einer Bronchitis, ersten Abschieden von Austauschschülern und einem Beinbruch meiner besten Freundin Marie in Kanada, ist die ...
Das Herz schlägt für zwei Länder
Patricia Obrist, England.
Neben einer Bronchitis, ersten Abschieden von Austauschschülern und einem Beinbruch meiner besten Freundin Marie in Kanada, ist die Zeit wie im Fluge vergangen. Der «Countdown» für meinen Austausch läuft.
«Patricia, ich bin ja fast so gross wie du geworden», begrüsste mich mein «kleiner» 11-jähriger Bruder Marvin. Da mein College Frühlingsferien machte, besuchte mich meine Familie für zehn Tage. Wir verbrachten einige Zeit in London, wo ich sie vom Kensington Palace bis hin zum Big Ben führte. Die grösste Attraktion waren wohl aber nicht die Sehenswürdigkeiten, sondern die Klima- und Brexitstreiks vor dem Westminster Abbey. Während man in den Schweizer Zeitungen meistens Klatsch und Tratsch über die «Royals» liest, haben wir die Spannungen der hautnah miterlebt.
Die restliche Woche wohnte meine Familie in einem typisch britischen Cottage in Brockenhurst. Einer der schönsten Momente war der herzliche Empfang meiner Gastfamilie und das Kennenlernen meiner lieb gewonnenen Freunde. Ich hatte das Gefühl, «doppelt» zu sehen, als meine Gastfamilie und meine Eltern einander gegenüber am Esstisch sassen. Dabei stellte ich fest, dass mein Herz definitiv für zwei Länder schlägt. Wir besuchten die «Isle of Wight», die bekannteste Insel in England für Ausgrabungen von Dinosaurier-Fossilien. Dort machten wir einen Trip, um «The Needles» zu bestaunen. Es handelt sich um drei markante Felseninseln aus Kreide, die in den Weltkriegen als Wachposten dienten.
Die verdutzen Gesichter meiner Familie während einer Fahrradtour, als sie in Brockenhurst Pferde und Kühe frei herumlaufen sahen, konnte ich zum zweiten Mal beobachten. Amüsant war es aber, als hätte ich es zum ersten Mal gesehen. Anfang April hatte ein Freund die Reise zu mir auf sich genommen. Seine Aussage: «Ich glaube, du lebst an einem der wenigen Orte, an denen Mensch und Tier sich ihr Umfeld teilen.» Der Flugverkehr in den Süden Englands scheint zu florieren, eine weitere Freundin aus der Schweiz landete für einen Sprachaufenthalt in Bournemouth. So kam es in diesem Monat zum Wiedersehen und zu Verknüpfungen von vielen verschiedenen Kontakten.
Meine Austauschorganisation hat eigentlich von Besuchern aus der Heimat, speziell von Familienmitgliedern, abgeraten, da es in den meisten Fällen zu Heimweh führt und das Jahr ein individuelles Erlebnis sein sollte. Meiner Meinung nach sollte das aber jede Austauschschülerin und jeder Austauschschüler für sich selbst entscheiden. Ich persönlich empfand es als die beste Möglichkeit, Familie und Freunde in meine Welt eintauchen zu lassen. Anstatt per Facetime konnten sie sich nun ein eigenes Bild machen. Ausserdem konnte ich auf diese Weise eine Ladung Winterklamotten mitgeben, anstatt mir beim Zurückgehen einen dritten Koffer kaufen zu müssen.
Patricia Obrist lebt mit ihrer Familie in Muri. Für ein Jahr lernt sie in England neue Menschen, neue Kulturen und eine neue Sprache kennen und berichtet regelmässig darüber.