Der Ernst, der machts
31.07.2018 SchuleErnst Hochstrasser war fünf Jahre Springer an der Oberstufe der Schule Wohlen
An der Zensurfeier der Bez erhielt er von den Schülern Standing Ovations. Das ist nicht selbstverständlich für jemanden, der keine Ausbildung als Lehrer hat. Doch Ernst ...
Ernst Hochstrasser war fünf Jahre Springer an der Oberstufe der Schule Wohlen
An der Zensurfeier der Bez erhielt er von den Schülern Standing Ovations. Das ist nicht selbstverständlich für jemanden, der keine Ausbildung als Lehrer hat. Doch Ernst Hochstrasser hat bei seinen vielen Noteinsätzen fast immer den Draht zu den Jugendlichen gefunden.
Chregi Hansen
Was machen, wenn ein Lehrer über Nacht plötzlich erkrankt? Wenn es einen Unfall gibt? Oder wenn das eigene Kind krank wird und kein Babysitter zur Verfügung steht? Woher holt man auf die Schnelle Ersatz, damit die Stunden nicht ausfallen? Schliesslich gehen die Eltern davon aus, dass ihre Sprösslinge in der Schule sind und Unterricht erhalten.
Was an vielen Orten zum Problem wird, war in der Oberstufe Wohlen in den letzten fünf Jahren keines. «Der Ernst, der machts», hiess hier die Lösung. Ernst, das ist Ernst Hochstrasser. Ehemaliger Banker. Aktiv beim Gemeinnützigen Ortsverein und bei den Ortsbürgern. Bekannt durch seine Auftritte als Schauspieler. Ein Wohler durch und durch. Und zuletzt als Springer an der Schule im Einsatz. Per Ende Schuljahr ging er in Pension. Sein Fazit fällt positiv aus.
Auf Abruf bereitstehen
Die Funktion des Springers, sie ist nicht neu. Der Kanton Aargau stellt für die Überbrückung von Absenzen gewisse Pensen zur Verfügung. Schwieriger ist es für die Schulen, Personal zu finden. «Auf Abruf zu arbeiten, das ist nicht jedermanns Sache», weiss Hochstrasser. Zu Beginn wartete er jeden Morgen um 7 Uhr zu Hause am Telefon, ob es heute seine Dienste braucht. Für ihn kein Problem. «Aus meiner Zeit bei der Bank verfüge ich über eine hohe Dienstleistungsbereitschaft», erklärt er.
Inzwischen haben die Vorgaben geändert. Am ersten Tag eines Ausfalls müssen die Lehrerkollegen die Klasse betreuen, der Springer kommt frühestens am zweiten Tag zum Einsatz. Das hat die Planung vereinfacht.
Fünf Jahre ist es her, seit sich Ernst Hochstrasser an der Schule beworben hat. Sein Sohn Adrian, selber als Lehrer tätig, hat ihn auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht. Zuvor war Ernst Hochstrasser bei seiner Bank vorzeitig pensioniert worden. «Einfach daheim rumsitzen, das wollte ich nicht», sagt er. Also meldete er sich beim damaligen Schulleiter der Bez, Rolf Wernli, mit den Worten: «Ich bin dein Mann.» Die Idee dahinter: Hochstrasser überbrückt Absenzen von Lehrern und betreut in dieser Zeit die Kinder. Zu Beginn wurde ein 25-Prozent-Pensum ausgemacht, schnell war klar, dass dies nicht reicht. Zuletzt waren es 50 Prozent. Dazu kamen spezielle Einsätze als Stellvertreter für längere Einsätze. Das allerdings war nicht optimal, denn feste Stellvertretungen behindern die Flexibilität bei Notfällen.
Bis zu 31 Lektionen pro Woche
Die Belastung war dabei sehr unterschiedlich. In der Spitzenwoche waren es 31 Lektionen. «In dieser Woche war ich auf allen Stufen und in allen Schulhäusern tätig. Es gab Tage, wo ich mehrfach das Schulhaus wechselte», erzählt er. Egal, ob 1. Bez oder 3. Real, egal, ob Turnen, Mathematik oder Deutsch – Ernst Hochstrasser sprang überall ein, wenn Not herrschte. «Natürlich kann ich einen Lehrer nicht ersetzen. In meinen Stunden stand weniger das schulische Unterrichten als das Betreuen im Vordergrund», erzählt er. In den meisten Fällen erhielt er von den Lehrern Materialien, mit denen er arbeiten konnte. Dauerte der Einsatz länger, dann las er sich zu Hause in die Materie ein. «Wenn man das erste Mal einer Klasse in Algebra erklärt hat, wie man eine Gleichung nach X auflöst, dann hat man das schnell wieder im Blut», lacht er.
Wichtig für diese Funktion sei, so seine Erfahrung, dass man über eine gute Allgemeinbildung verfüge und sich schnell einarbeiten kann. «Und natürlich muss man die Kinder gern haben. Das war bei mir der Fall. Und ich glaube, das haben sie gespürt.» Natürlich sei es bei ihm vermutlich manchmal weniger diszipliniert zugegangen wie im regulären Unterricht. «Es ist doch normal, dass Klassen bei einem Fremden ausprobieren, was alles drin liegt.» Aber grosse Probleme habe er selten gehabt. Ganz ohne Strafen ging es zwar auch nicht, meist hat er aber das Gespräch gesucht. Ein viel grösseres Problem war für ihn, dass alle Schulzimmer unterschiedlich eingerichtet sind und viele Lehrer auf ihre eigene Art unterrichten, mit eigenen Lehr- und Hilfsmitteln. Sich da immer wieder auf die Schnelle zurechtzufinden, das war nicht einfach. Und: Die Oberstufe umfasst rund 700 Schüler. «Es war mir schlicht unmöglich, alle Namen zu lernen», bedauert Hochstrasser.
Hochachtung vor der Arbeit der Lehrer erhalten
Die meisten Lehrer hätten seinen Einsatz geschätzt. Viele hätten ihn im Voraus und vorbildlich mit Material versorgt. «Es gab ganz wenige, die fanden: Wenn der schon bezahlt wird, dann soll er auch die Stunden selber vorbereiten.» Er selber würde es optimal finden, wenn es in jeder Klasse eine Art Notfallordner gibt mit Themen, die man behandeln kann. Das hätten heute nur ganz wenige Lehrer. Er selber hat am liebsten Sprachen, Geschichte und Mathematik unterrichtet. In diesen fünf Jahren hat sich auch sein Bild von der Schule gewandelt. «Damals als Banker dachte ich immer, die Lehrer hätten einen easy Job und viel frei. Heute habe ich grossen Respekt vor ihrer Arbeit. Es ist wirklich enorm, was sie leisten.»
Er hat die Zeit als Springer sehr geschätzt. «Ich habe immer gerne mit Menschen gearbeitet. Bei der Bank als Kundenberater. Hier mit Jugendlichen.» Worüber er gestaunt hat: Dass die Schule sich zwar in vielen Punkten verändert hat seit seiner eigenen Kindheit, dass es aber Dinge gibt, die gleich geblieben sind. Dass man immer noch mit Stundenplänen arbeitet, die für jede Lektion ein anderes Fach vorsehen und die Kids von Deutsch zum Turnen und in die Mathematik wechseln, das versteht er nicht. Konzepte wie die Lernlandschaft der Bezirksschule findet er hingegen spannend und zukunftsweisend.
Nicht für jeden geeignet und attraktiv genug
Er selber zieht eine positive Bilanz. «Es war eine anstrengende, aber auch spannende Zeit.» Bisher hat die Schule keinen Nachfolger gefunden. Der Kanton würde die Funktion des Springers gerne mit ausgebildeten Lehrpersonen ausfüllen, doch das werde wohl kaum gelingen, meint Hochstrasser. «Man arbeitet in einem 50-Prozent-Pensum, muss aber wie in einem 100-Prozent-Pensum ständig zur Verfügung stehen», erklärt er. Planen lässt sich nur wenig. «Für mich hat es gestimmt. Aber ich glaube nicht, dass das für viele andere attraktiv ist.»
Ernst Hochstrasser geht jetzt sozusagen zum zweiten Mal in Pension. Diesmal aber richtig. Auf der faulen Haut herumliegen wird er aber nicht. «Der Ernst, der machts», das gilt eben auch in anderen Orten. Langweilig wird es ihm so schnell also nicht werden.