Aussage gegen Aussage
29.06.2018 GerichtBezirksgericht: Auch nach fünf Jahren liegt noch kein Urteil vor in einem Strafverfahren
Haben zwei Polizisten bei der Ausübung eines Auftrags rechtswidrig ein Haus betreten und ohne Grund Gewalt angewendet? Oder hat der Hausbesitzer die ...
Bezirksgericht: Auch nach fünf Jahren liegt noch kein Urteil vor in einem Strafverfahren
Haben zwei Polizisten bei der Ausübung eines Auftrags rechtswidrig ein Haus betreten und ohne Grund Gewalt angewendet? Oder hat der Hausbesitzer die Polizisten angegriffen und so die Zwangsmassnahmen ausgelöst? Die Aussagen der Beschuldigten vor Bezirksgericht widersprachen sich.
Erika Obrist
Es war ein alltäglicher Auftrag, mit dem zwei Polizisten der Kantonspolizei vom Posten in Wohlen betraut worden waren. Aufgrund eines Rechtshilfegesuchs der Stadtpolizei Zürich sollten sie den Halter eines Motorrads aufsuchen und bei dessen Motorrad Spuren sichern. Dies, weil das Motorrad mitbeteiligt gewesen war an einem Verkehrsunfall; der Lenker hatte damals den Unfallort pflichtwidrig verlassen.
Auf dem Weg zum Halter des Motorrads, einen Landwirt aus der Region, besprachen die Polizisten das Vorgehen. Auf dem Hof des Landwirts verlief erst alles in geregelten Bahnen. Die Polizisten stellten sich vor und fragten nach dem Motorrad. Der Landwirt erklärte, er habe das Motorrad ausgeliehen, es befinde sich nicht auf dem Hof; die Polizisten könnten ja nachsehen und sich selber davon überzeugen.
Polizist wollte Identität feststellen
Ab diesem Zeitpunkt widersprechen sich die Aussagen der beiden Polizisten und des Bauern. Polizist Keller (alle Namen geändert) führte vor Gericht aus, er habe die Identität des Bauern feststellen wollen und ihn aufgefordert, mit auf den Posten zu kommen.
Der Landwirt habe das Zeigen des Ausweises verweigert und die Türe schliessen wollen, worauf Keller einen Schritt nach vorne gemacht und so den Fuss in die Tür gestellt habe.
Wer hat zuerst Gewalt ausgeübt?
Unvermittelt habe ihn der Landwirt angegriffen und am Hals zu packen versucht. Er habe den Angriff abgewehrt und sei zusammen mit dem Landwirt in den Hauseingang gestürzt. Dort kam es zu einem heftigen Gerangel, worauf Keller und der ihm zu Hilfe geeilte Kollege Huber dem Landwirt Handschellen anlegten.
Der Landwirt bestritt vor Einzelrichterin Isabelle Wipf, dass er die Polizisten angegriffen habe. Laut Anklageschrift beschimpfte er die Polizisten und beklagte sich, die Handschellen seien zu eng. Der Landwirt zeigte sich jedoch willig, auf den Posten mitzugehen; erst müsse aber noch der Gasgrill ausgeschaltet werden.
Alle reichten Strafanzeige ein
Nachdem dies geschehen war, ereignete sich ein zweiter Vorfall. Polizist Keller und der in Handschellen gelegte Landwirt stolperten auf der Treppe vor dem Haus und stürzten. Dabei zogen sich die beiden mehrere Blessuren zu. Wieder beschimpfte der Landwirt die Polizisten. Die zur Unterstützung herbeigerufene Regionalpolizei konnte den Landwirt auf den Posten der Kantonspolizei bringen, wo er von Polizist Huber befragt wurde.
Das Resultat: Die beiden Polizisten zeigten den Landwirt an wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Beschimpfung, Sachbeschädigung (die Uniform und das Pistolenholster wurden in Mitleidenschaft gezogen). Der Landwirt zeigte die Polizisten an wegen Hausfriedensbruch und Tätlichkeiten.
Einzelrichterin Isabelle Wipf versuchte gestern bei der Befragung aller drei Beteiligten herauszufinden, was sich genau zugetragen hatte vor fünf Jahren. Da alle bei ihren Aussagen blieben, löste sich der Nebel über dem Geschehen nicht auf.
Alle beantragten Freispruch
Die Gewaltanwendung sei rechtens gewesen, so die Verteidiger der beiden Polizisten. Dass sie im Haus gewesen seien, habe sich der Landwirt zuzuschreiben: Er habe die Gewaltanwendung durch sein Verhalten provoziert. Beide Verteidiger verlangten vor Gericht einen Freispruch für ihren Mandanten.
Einen Freispruch beantragte auch der Verteidiger des Landwirts. Die Polizei sei widerrechtlich ins Haus eingedrungen; sein Mandant habe sich dadurch in einer Notwehrsituation befunden. «Es kann nicht sein, dass die Polizei einen Bürger in seinem eigenen Haus überfällt – so etwas darf es nicht noch einmal geben», so der Verteidiger. Zu einer Sachbeschädigung sei es nicht gekommen, da kein Vorsatz erkennbar sei. Neben einem Freispruch beantragte er auch eine Genugtuung von mindestens 500 Franken für seinen Mandanten. Angesichts der langen Verhandlungsdauer und der Tatsache, dass ein Verteidiger einen nächsten Termin wahrnehmen musste, einigten sich alle darauf, dass das Urteil schriftlich eröffnet wird.
Bereits zweite Verhandlung
Die beiden Polizisten und der Landwirt standen in diesem Fall bereits einmal vor den Schranken des Bezirksgerichts Bremgarten. Auch damals führte Gerichtspräsidentin Isabelle Wipf die Verhandlung durch. Damals ist ein Urteil gefällt worden, das aber vom Obergericht kassiert wurde, weil wegen eines technischen Defekts keine Tonbandaufzeichnung vorlag und weil das Protokoll nicht unterzeichnet worden war.
Der Verteidiger des Landwirts hatte vor der zweiten Verhandlung ein Ausstandsbegehren gestellt; er wollte, dass ein anderer Einzelrichter die Verhandlung leitet. Dieses Begehren wurde abgelehnt. Gestern stellte er dieses Begehren erneut und verlangte den Abbruch der Verhandlung.
Bei negativem Entscheid werde er erneut den Instanzenweg beschreiten, kündete er an. Nach kurzer Beratung wurde sein Antrag abgewiesen. --eob