Tierwohl wollen beide

  14.07.2023 Region Bremgarten, Region Wohlen, Region Oberfreiamt, Region Unterfreiamt, Wohlen

Die Wölfin und der Stier

Sommerserie «Gegensätze»: Veganerin Sarah Moser trifft Fleischliebhaber Stefan Strebel

Sie ernährt sich seit sieben Jahren vegan. Er isst täglich Fleisch. Beim Treffen sind ihre Meinungen aber oft ähnlich.

Stefan Sprenger

Sie sind sehr unterschiedlich. Egal ob Erscheinungsbild oder Meinung. Würde man Sarah Moser und Stefan Strebel in das Tierreich übertragen, dann wäre Sarah Moser wohl eine Wölfin und Stefan Strebel ein Stier. Sie wählt vorsichtig und überlegt ihre Worte: «Ich masse mir nicht an, jemanden zum veganen Lebensstil zu überreden.» Sie beschützt ihre Herde (die Veganer), wehrt sich mit kräftigen Argumenten, ist loyal. Und die Freundschaft zu allen Lebewesen ist der Freiämterin (Oberlunkhofen und Bremgarten) ein hohes Gut. Deshalb wurde sie 2016 Veganerin, deshalb ist sie Geschäftsleiterin der Veganen Gesellschaft Schweiz.

Stefan Strebel ist ein Stier. Kraftvoll, ausdauernd, bodenständig, wenn es sein muss auch stur. Und er ist vielleicht sogar ein wenig furchteinflössend – allerdings nur auf den ersten Blick. Der höchste Schwinger der Schweiz ist ein schlauer Geschäftsmann. Sein Traumberuf war Metzger, heute ist er Geschäftsführer der Traitafina AG in Lenzburg. «Ich liebe Fleisch, habe aber nichts gegen Veganer, sofern sie nicht radikal sind», sagt der Villmerger.

Der Vergleich aus dem Tierreich hat aber einen grossen Haken: Wölfe sind Fleischfresser, Stiere ernähren sich nur von Pflanzen.

In der neuen Sommerserie «Gegensätze» haben sich diese beiden unterschiedlichen Menschen getroffen und miteinander diskutiert. Über Ernährung, Veganismus oder den Klimawandel. Sie haben dabei erstaunlich viele Gemeinsamkeiten entdeckt.


Sommerserie «Gegensätze»: Veganerin Sarah Moser trifft Fleischfan Stefan Strebel

Sie haben unterschiedliche Ansichten. Stefan Strebel, gelernter Metzger und Geschäftsführer der Traitafina AG, und Sarah Moser, Veganerin und Geschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz. Das Treffen der beiden war spannend – und überraschend harmonisch.

Stefan Sprenger

Nur einmal ist die Stimmung kurz gereizt. Stefan Strebel fragt etwas provokativ: «Du bist 32 Jahre alt. Vegan lebst du aber erst seit sechs Jahren. Du warst also 26 Jahre deines Lebens auch eine Fleischliebhaberin.» Sarah Moser winkt die «Anschuldigung» lächelnd ab. «So ist das also nicht.» Im Elternhaus in Oberlunkhofen, wo sie aufgewachsen ist, gab es nur sehr selten Fleisch, ihre Mutter lebte vegetarisch. Als erwachsene Frau zügelte sie nach Bremgarten – wo sie heute noch wohnt – und ernährte sich vegetarisch. 2016 entschied sie sich, vegan zu leben. Im letzten Jahr übernahm sie die Geschäftsleitung der Veganen Gesellschaft Schweiz.

Als Moser zu Ende gesprochen hat, signalisiert Stefan Strebel sofort, dass er nur etwas sticheln wollte und es nicht böse gemeint ist. Der 46-jährige Schwingerboss sagt dann: «Spannend. Wir beide wurden von unserem Elternhaus geprägt.» Schon Strebels Vater war Metzger. Zu Hause in Villmergen gab es täglich Fleisch. «Und mein Traumberuf war Metzger», sagt er. Heute ist er Geschäftsführer der Traitafina AG in Lenzburg.

Im Restaurant Marco Polo in Wohlen treffen sich Moser und Strebel und diskutieren über Gott und die Welt. Sie kam mit dem Zug, trinkt ein Wasser. Er kam mit dem Auto, trinkt ein Cola Zero. Beide haben sich über das Gegenüber informiert, beide sind etwas skeptisch. «Ich bin gespannt», sagt Moser augenzwinkernd. Ihr fällt auf, dass Stefan Strebel ein wortgewandter und diplomatischer Typ ist. Strebel merkt schnell, dass Moser schlagfertig ist und keinesfalls radikal (was er gar nicht mag).

«Veganuary» bringt etwas

Wie läufts im Fleischbusiness? Strebel erzählt Fakten: «In der Schweiz wurden 2022 rund 50 kg Fleisch pro Person gegessen. Dieser Wert ist stabil, war aber auch schon höher. Eine deutliche Entwicklung ist beim Geflügel zu erkennen, das wird immer mehr konsumiert.» Moser nickt, sie weiss das auch. Sie erzählt, wie es mit dem Veganismus hierzulande aussieht: «Der Veganuary, der jedes Jahr im Januar ist, bringt etwas. 2019, als die «Friday for Future»-Bewegung aufkam, haben wir einen enormen Aufschwung erlebt. Durch die Coronapandemie erhielten wir zudem die Erkenntnis, dass sich immer mehr Menschen intensivere Gedanken machen zum Tierwohl und zur Umwelt.»

Die Flexitarier sind für beide «Kunden»

Aktuell leben rund 5 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer vegetarisch, knapp 1 Prozent vegan. Moser sagt: «Die Werte haben sich auf einem hohen Niveau stabilisiert.» Strebel horcht auf. «Was bedeutet für dich denn hohes Niveau?» Die junge Frau erklärt: «2012 waren noch 40 Prozent der Bevölkerung der Schweiz Flexitarier. Heute sind es 63 Prozent, die bewusst auf tierische Produkte verzichten.»

Diese Flexitarier, sie sind für Strebel wie auch für Moser «Kunden», wenn man so sagen will. Es sind Menschen, die ihren Fleischkonsum bewusst einschränken. «Sie stehen für einen gemässigten, nachhaltigen und qualitätsorientierten Verzehr von Fleisch», heisst es in der Beschreibung.

«Ob Fleischesser oder Veganer: Die Sauce muss stimmen»

Strebel erzählt von seinem Unternehmen, der Traitafina AG, die für viele Menschen in der Region für Fleisch steht. «Das war einmal», sagt er. Vor drei Jahren wurde er durch seine Nichte Lorena Bee (aus Wohlen) inspiriert. Sie ist Veganerin, hat mit ihm oft diskutiert. Und der gewiefte Geschäftsmann hat die Zeichen der Zeit erkannt und in seinem Unternehmen die Marke «Vegifina» ins Leben gerufen. «Vegifina wächst und wächst.» Heute machen die veganen und vegetarischen Produkte 60 Prozent aus bei der Traitafina. Vielfach sind es Saucen. «Ob Fleischesser oder Veganer: Die Sauce muss stimmen», sagt Strebel. Moser kann nur zustimmen.

Strebel betont, dass sein Unternehmen – das grösstenteils den Gastrobereich beliefert – «bereit ist für den Wandel». Er spürt und merkt es an den Zahlen, dass immer mehr Menschen vermehrt auf Fleisch verzichten wollen. «Die Nachfrage nach fleischlosen Produkten wird grösser.» Im Gastrobereich schleichend, beim Detailhändler schneller. «Das ist ja bei mir genau gleich. Zu Hause verzichte ich immer mehr auf Fleisch, im Restaurant eigentlich nie», so Strebel. Moser findet das «gut» und hofft, dass die grossen Detailhändler bald noch mehr Platz einräumen für alternative Produkte.

Fühlt sich Stefan Strebel angegriffen?

Beide sind sich einig: Weniger Fleischkonsum würde der ganzen Welt guttun. Sie sagt: «Es würde die Treibhausgasemissionen senken, der Methangasausstoss würde reduziert, man müsste nicht Futtermittel aus dem Ausland zukaufen, denn dafür wird Regenwald abgeholzt. Weniger Fleischkonsum wäre für die Artenvielfalt gut, gegen die Wasserverschmutzung, für die Nutztierhaltung.» Sie könnte noch mehr aufzählen. Grundsätzlich: «Wir müssen mit unseren Ressourcen besser umgehen.» Strebel nickt. Und fühlt sich als Fleischliebhaber angesichts dieser Worte nicht angegriffen. «Es braucht beide Seiten», meint er und erklärt, dass sein Unternehmen beispielsweise Soja vom Donaugebiet in Deutschland bezieht. «Das ist etwas teurer, bringt der Umwelt aber etwas.» Moser findet das vorbildlich: «Alles, was die Situation verbessert, bringt uns einen Schritt näher zur Lösung.»

Heidiland-Vorstellung

Sie beide sind sich einig: Die Gesellschaft, der Kunde – oder ganz einfach der Mensch selbst – entscheidet am Ende, in welche Richtung es sich entwickelt. Moser findet: «Die Politik könnte etwas mehr tun.» Beispielsweise die Fleischlobby weniger subventionieren – oder bei der Haltung der Nutztiere Verbesserungen schaffen. Moser ist ebenfalls im Vorstand von «Sentience», die «die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft trägt», wie es auf der Homepage heisst. «Sentience» war es auch, die im September 2022 die Initiative gegen Massentierhaltung zur Abstimmung vor das Volk brachte. Ziel: «Die Haltung und Schlachtung verbessern. Eine Heidiland-Vorstellung, wenn man so will», erklärt Moser und fragt bei Strebel nach, wie bei Traitafina eine Schlachtung vonstattengeht. «Wir arbeiten mit dem Tierschutz eng zusammen. Bei uns geht die Schlachtung schnell, die Anfahrtswege sind kurz», so der 46-Jährige. Er spricht von einer «humanen Tötung» und betont, dass die in anderen Ländern ganz anders abläuft. «Leider.»

Auch hier findet Moser die Vorgehensweise von Traitafina «besser als in anderen Unternehmen», sagt aber: «Nur 12 Prozent aller Nutztiere sehen in ihrem Leben eine grüne Wiese. Das kann doch nicht sein. Das ist doch kein Leben.»

Strebel – der als Metzger bei der Schlachtung nie ein schlechtes Gewissen hatte – sagt nichts, seine Gestik zeigt aber, dass er das auch so sieht. Denn auch wenn er gerne und oft Fleisch isst, so ist ihm das Tierwohl ein grosses Anliegen. «Die Nutztierhaltung wurde in den letzten 30 Jahren in der Schweiz massiv besser, das weiss ich aus eigener Erfahrung», meint er. Was er auch weiss: Wenn man mehr für das Tierwohl tut, dann steigt der Preis. «Und Geld regiert die Welt.» Wieder sagt er: «Leider.»

So ist es auch beim Fleischkonsum. «Diese Gedanken, die wir uns machen, sind purer Luxus. Fleisch ist Luxus», sagt Strebel. Früher, zu Kriegszeiten, oder heute, in armen Ländern, «da wird nicht darüber diskutiert, denn man kann sich den Fleischkonsum gar nicht leisten.»

Weltuntergang oder doch etwas übertrieben?

Moser ist überzeugt, dass ihre veganen Aktien sie eines Tages zur Millionärin machen und sie mit dem Geld einen Lebenshof gründen wird. Aber sie weiss nicht, ob sie das auch noch kann – oder die Welt dann schon am Abgrund steht. «Ganz ehrlich, ich habe nicht mehr wahnsinnig viel Hoffnung für diese Welt in ein paar Jahrzehnten. Es geht bachab», sagt sie – und kämpft trotzdem dafür, dass es sich in eine bessere Richtung entwickelt. Strebel sieht das anders: «Ich glaube nicht, dass die Welt untergeht.»

Er erzählt die Geschichte seines Lehrers an der Schule in Villmergen in den 80er-Jahren. «Täglich hat er darüber geredet, dass wir das Ozonloch mit FCKW verpesten. Ich habe dann sogar meine Mutter bearbeitet und sie so weit gebracht, dass sie eine andere Sprühdose kaufte, die das Ozonloch nicht belastete, aber dafür doppelt so teuer war.» Heute sei FCKW kein Thema mehr.

Moser muss gequält lächeln. «Das mag stimmen. Aber wir haben heute andere, grössere Probleme. Es wird beispielsweise immer wärmer», sagt sie. «Ist denn das wirklich so schlimm? Oder übertreiben wir nicht ein wenig?», fragt Strebel.

«Ich sage lieber nichts zu denen»

Kurz werden die Klimaaktivisten, die aktuell für Schlagzeilen sorgen, thematisiert. Menschen, die sich auf die Strasse kleben, den Verkehr blockieren und so auf die Umweltprobleme aufmerksam machen wollen. Strebel rümpft die Nase: «Ich sage lieber nichts zu denen.» Moser meint: «Ich glaube nicht, dass dieser radikale Aktivismus zielführend ist.» Doch sie sagt auch, dass dies aus der Verzweiflung heraus geschieht, dass viele junge Menschen angesichts der Situation auf der Welt nicht mehr weiterwissen – und sie lieber etwas tun, als schweigend zuzusehen, wie sich nichts auf der Welt ändert. «Der Wandel passiert doch. Die Welt verbessert sich. Aber eben nicht so schnell, wie es andere wollen», so Strebel.

Beide haben sich das Treffen schlimmer vorgestellt

An diesem Tisch wird auch keine Lösung für alle Probleme dieser Welt gefunden. Aber zwei Menschen kommen sich näher, die es so nicht erwartet hätten. Stefan Strebel sagt: «Ich habe mir das Treffen schlimm vorgestellt und habe eine radikale Veganerin erwartet. Aber Sarah ist sehr sympathisch und ich verstehe ihre Anliegen und finde es gut, dass sie für ihre Werte einsteht.» Bei Sarah Moser ist es ähnlich. Auch die hat sich das Treffen mit Fleischliebhaber Stefan Strebel schlimmer vorgestellt. «Er ist sehr sympathisch und bodenständig. Ich glaube auch, dass er sich als Unternehmer seiner Verantwortung bewusst ist und mit gutem Beispiel vorangeht.»

Beide finden, dass die Menschen mehr gemeinsam an einen Tisch sitzen – und so Probleme anpacken – sollten. Dann merkt man nämlich, dass die unterschiedlichen Ansichten meist doch nicht so weit entfernt voneinander sind. «Wir finden einander», sagt Strebel lachend. «Einen Teil des Weges gehen wir zusammen», meint Moser.

Beide finden: Fleischkonsum soll zurückgehen

Ziemlich harmonisch also. Aber eben nicht ganz. Ein Beispiel zeigt das besonders gut: Beide finden, dass der Fleischkonsum in den kommenden Jahren weiter zurückgehen sollte. Sarah Moser sagt: «Es wäre toll, wenn wir den Fleischkonsum in der Schweiz pro Kopf auf fünf Kilogramm reduzieren könnten.» Aktuell sind es rund 50 kg. Strebel: «Das wäre ja 10-mal weniger als jetzt, das würde ich nicht unbedingt begrüssen. Und das ist wohl auch nicht zu erreichen.»


Über die Personen

Sarah Moser ist 32 Jahre alt, ist in Oberlunkhofen aufgewachsen und lebt heute mit ihrem Partner in Bremgarten. Sie absolvierte die Kantonsschule Wohlen, machte danach den Bachelor in Politikwissenschaften an der Universität Zürich. An der Fachhochschule Nordwestschweiz, der Universität Basel und der Medienschule in Luzern bildete sie sich divers weiter für die Kommunikation und Führung von Non-Profit-Organisationen. Aktuell ist sie Geschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz und engagiert sich als Vorstandsmitglied bei «Sentience». Ihre Familie ist in der Region verwurzelt, ihr Grossvater stammt aus Bremgarten, ihr Vater Markus Moser wuchs in Wohlen auf.

Stefan Strebel ist 46 Jahre alt und ist in Villmergen aufgewachsen. Heute lebt er gemeinsam mit seinen zwei Kindern und Frau Fabienne in Hendschiken. Er ist gelernter Metzger (Lehre bei der Metzgerei Sax in Büttikon) und kaufmännischer A ngestellter, machte zudem die Weiterbildung zum Betriebsleiter in Fleischwirtschaft und ist diplomierter Betriebswirtschafter. Er arbeitete für Unternehmen wie Bell, Kneuss Güggeli und war 2016 bis 2019 Geschäftsführer der Braunwalder AG in Wohlen. Er ist seit mehreren Jahren Geschäftsführer der Traitafina AG in Lenzburg. Stefan Strebel ist als technischer Leiter des Eidgenössischen Schwingerverbands zudem der höchste Schwinger der Schweiz. In seiner Aktivkarriere holte er 49 Kränze, darunter drei Mal an einem «Eidgenössischen». --spr


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