Zweimal war es einmalig

  12.02.2021 Sport

Serie «Freiämter Olympioniken»: Max Forster aus Wohlen war in Grenoble (1968) und Sapporo (1972) als Bobfahrer dabei

Ringer, Nationalturner, Bobfahrer, Unternehmer, Kenia-Reiseleiter, dreifacher Vater und vierfacher Grossvater. Max Forster (86) hat schon vieles erlebt. Jetzt hat er gerade Corona durchgemacht – und lädt in seiner Alterswohnung im Chappelehof ein zu einer unglaublichen Olympia-Zeitreise.

Stefan Sprenger

1968 in Grenoble. Max Forster salutiert dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. «Die Olympia-Eröffnungsfeier war gigantisch.» 60 000 Zuschauer sind im temporären Stadion dabei. «Das ist lange her. Eine Ewigkeit.» Forster erinnert sich trotzdem noch bestens daran. Sowieso – Max Forster hat tausend tolle Geschichten in seinem weiss behaarten Kopf. «Aber Olympia war etwas vom Besten, was ich erleben durfte», sagt er.

Es ist Montag, 8. Februar. Die Türglocke erklingt. «Einfach reinkommen», hallt es aus der Alterswohnung im Chappelehof. Max Forster liegt auf dem Sofa. Im TV läuft das Nachmittagsprogramm von RTL. Der 86-Jährige rafft sich auf. «Von hier aus kann ich die katholische Kirche sehen.» Max Forster zeigt auf den Kirchturm und lacht. «Wenn ich mal sterbe, muss man mich in der Kiste nicht mehr weit tragen.»

Momentan braucht er viel Ruhe

Auch wenn er momentan angeschlagen ist, hat er seinen Humor und seine Lebensfreude nicht verloren. Vor einem Monat wurde er positiv auf Corona getestet und blieb dann zehn Tage im Spital in Muri. Er hatte keine starken Symptome, wurde aber schnell müde. Auch heute noch. Die Nebenwirkungen der Corona-Impfung vor wenigen Tagen spürt er ebenfalls. «Ich brauche Ruhe, aber das kommt schon wieder.»

Forster denkt dann an Sepp Benz, den Bob-Olympiasieger von 1980, der auch «Bremser der Nation» genannt wurde. Josef «Sepp» Benz verstirbt am letzten Freitag in Zürich im Alter von 76 Jahren. Corona reisst ihn aus dem Leben. «Ein flotter Kerl», sei er gewesen. Forster kannte ihn. Wie mit so vielen Menschen blieb er auch mit Benz in Kontakt.

Wenn Max Forster von seiner Bobkarriere und aus seinem Leben erzählt, dann nennt er unzählige Namen. Weggefährten im Sport, Freunde aus der ganzen Welt oder Geschäftspartner – es sind Errungenschaften aus einem Leben mit vielen Höhepunkten.

3. November 1934. In der Ostschweiz wird Max Forster geboren. Er wächst auf in Wigoltingen, Thurgau. Der Sport ist schon in seiner Kindheit präsent. Turnen, Ringen, Leichtathletik. Klein-Max ist ein Naturtalent. Bis er in den Bobsport findet, dauert es aber. Forster ist 32 Jahre alt und ein guter Leichtathlet, als er von Heinrich Angst, Bob-Olympiasieger von 1956, zum Bobsport gelockt wird. «Es hat mir von Anfang an sehr gefallen», so Forster. Sein erster Pilot heisst Hansruedi Müller, bei Hans Zoller fährt er danach phasenweise mit. Schliesslich landet er bei René Stadler – und die Erfolgsgeschichte beginnt.

Vor dem «Central» abgeholt, im «Bären» gefeiert

Winter 1968. Vor dem Restaurant Central in Wohlen steht Max Forster mit gepackten Koffern. Sein Pilot René Stadler holt ihn dort mit dem Auto ab. Ihr Ziel: Grenoble, Frankreich. Dort finden die Olympischen Spiele statt. «Die Eröffnungsfeier war toll und erfüllte mich mit viel Stolz. Das Rennen hätte für uns dann besser laufen können.» Im Zweierbob fährt das Duo Stadler/Forster auf den 10. Rang. Trotzdem organisiert der damalige «Bären»-Wirt eine Feier für Max Forster, als er wieder nach Hause kommt.

Hier in Wohlen kennt man ihn schon damals. 1961 zügelt er in ein grosses Haus an der Pilatusstrasse. Seine Frau Edith, geborene Wiederkehr, ist eine Wohlerin. Sie haben sich bei einem Turner-Skirennen auf dem Stoos kennengelernt. Mit Edith ist er seit über einem halben Jahrhundert verheiratet, hat drei Kinder: Raffaela (heute in Waltenschwil), Simone (Zürich) und Daniel (Hawaii). Zudem ist er vierfacher Grossvater. Seinen Sohn, der in Hawaii lebt, würde er gerne nochmals sehen, «bevor ich im Kistchen bin».

Seine Frau leidet heute an Demenz und lebt im Wohn- und Pflegezentrum Bärholz. «Sie kennt mich noch», meint Forster. Die Akzeptanz, dass das Leben nicht ewig dauert und sich die Dinge irgendwann nicht mehr so entwickeln, wie man sich das wünscht, ist Max Forster anzusehen. «Was will man machen?», fragt er – ohne darauf eine Antwort zu erwarten.

Er schweigt auch 50 Jahre später  zu den «Sapporo-Vorfällen»

Seine Gegenwart ist geprägt von Telefonaten mit der Familie und Freunden, TV-Schauen und Zeitunglesen. Forster muss sich aktuell viel ausruhen. Seine Erinnerungen an vergangene Sport-Glanzzeiten sind dafür umso lebhafter. 1970 holt er die Bronzemedaille an der Weltmeisterschaft in St. Moritz. 1971 wird der Anschieber in Cervina Weltmeister. 1972 darf Max Forster mit 38 Jahren nochmals an die Olympischen Spiele nach Sapporo, Japan. Auch hier war die Eröffnungsfeier ein bleibendes Erlebnis. Im Makomanai-Stadion salutiert er diesmal dem japanischen Kaiser Hirohito.

Sportlich lief es eigentlich gut. «Wir waren in den Testläufen immer vorne dabei», erinnert er sich. Aber es gab arglistige Vorfälle. «Dinge, die nicht passten», wie er es mit ruhiger Stimme sagt. Dinge, über die er selbst heute, fast 50 Jahre später, nicht reden möchte. «Das darf ich nicht erzählen.» Im damaligen «Wohler Anzeiger» ist von einer «Intrige» die Rede. Genaueres wird aber auch damals nicht erläutert.

Lange Partynacht mit dem Langlaufteam

Fakt ist, Forster und Stadler durften nicht starten. An ihrer Stelle rast Pilot Jean Wicki zu Bronze im Zweierbob und Gold im Viererbob. In Sapporo war der Viererbob neben Marie-Theres Nadig und Bernhard Russi der einzige Olympia-Sieg für die Schweiz. Forster meint: «Aufgrund der Resultate in diesem Rennen war es im Nachhinein die richtige Entscheidung, dass er anstelle von uns gestartet ist.»

Trotz sportlicher Misere erinnert sich Forster gerne an Sapporo 1972. Das Land, die Kultur, die Menschen und das Olympia-Gefühl waren für ihn unbeschreiblich schön. «Von der Bobbahn aus konnte man das Meer sehen. Wenn ich heute daran denke, fühle ich erneut, was ich damals fühlte: Glück.» Gefeiert wurde übrigens trotzdem. Auf die überraschende Bronzemedaille der Langlaufstaffel folgte eine lange Partynacht. «Wir haben mit ihnen gefeiert, bis wir nicht mehr reden konnten.»

Schön waren beide Olympia-Teilnahmen. Auch wenn sie sportlich nicht sonderlich erfolgreich waren, sei es ein einmaliges Erlebnis gewesen. «Also zweimalig einmalig», sagt er lachend. Ein Jahr später, 1973, beendet er seine Bobkarriere. «Es war Zeit.»

In Kenia steht ein «Max Forster»-Wegweiser

Forster wird später Unternehmer, gründet eine Plattenlegerfirma in Wohlen. Und neben Familie, Sport und Geschäft entwickelt der emsige Schaffer eine weitere Leidenschaft: das Reisen nach Kenia. Dort hat er gar einen eigenen Wegweiser erhalten. «Max Forster, Switzerland». Er organisierte Trips ins afrikanische Land und fungierte als Reiseleiter. Vor drei Jahren war er zuletzt dort. «Hoffentlich nicht das letzte Mal.» Wenn er wieder «zwäg» ist, will er nochmals nach Kenia. Wieder erwähnt er den Tod, erklärt lachend, dass er lieber im Ringer- als im Bobhimmel landen möchte. «Wieso nicht? Die Ringer sind lustige Kerle.» Trocken und gefasst fügt er an: «Wenn der Tod kommt, dann kommt er. Irgendwann liegen wir alle in der Kiste.» Angst vor dem Sterben habe er nicht. Oder immer weniger. Er habe mehr Angst davor gehabt, etwas in seinem Leben nicht zu machen und dann zu bedauern. «Man bereut in seinem Leben immer die Dinge, die man nicht getan hat.»

Der Eiskanal wird gemieden

Vor rund einem Jahr verkaufte er das grosse Haus an der Pilatusstrasse. «Es wurde zu gross». In der Alterswohnung Chappelehof fühle er sich sehr wohl. Dort stehen nun seine Medaillen, Pokale und Dutzende Erinnerungsstücke aus seiner Karriere. «Ich habe viel gesehen, viel erlebt. Einiges war lehrreich, das meiste toll.» Lange ist es her. «Eine Ewigkeit.»

Zuletzt einen Eiskanal runtergedonnert ist er vor wenigen Jahren in St. Moritz. Heute würde er das nicht mehr tun. Max Forster will seine Gesundheit nicht riskieren. «Ich will ja noch ein wenig leben. Und diese Zeit soll schön sein.» Diese Kiste kann noch warten.


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